{'de': 'Abendland'}
Im 16. Jahrhundert tauchte der Begriff des Abendlandes zum ersten Mal auf. In antiken und mittelalterlichen Vorstellungen war Europa der Erdteil, der der untergehenden Sonne am nächsten war. Die Bezeichnung Abendland bezog sich vor allem auf das heutige Westeuropa und sollte es vom Morgenland oder Orient abgrenzen. Erst ging es um den Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel, später kämpfte das christliche Europa gegen türkische und muslimische Angreifer. Mit einem eigenen Kulturraum hatte der Begriff anfänglich aber wenig zu tun. Vielmehr diente er dazu, einen geographischen Raum abzustecken.
\n\nErst in der deutschen Romantik bekam der Begriff eine starke kulturelle Bedeutung. Das Abendland wurde als europäische Völkergemeinschaft gepriesen, die durch ihr romanisches, germanisches und christliches Erbe verbunden war. Die römisch-griechische Philosophie wurde mit christlichen Werten verbunden. Die Romantiker bezogen sich auf das Mittelalter als „goldenes Zeitalter“ und feierten Karl den Großen als Gründungsvater Europas.
\n\nNach dem ersten Weltkrieg lebte der Gedanke der abendländischen Gemeinschaft wieder auf. Dazu trug vor allem ein Werk des deutschen Geschichtsphilosophen Oswald Sprengler bei: In Der Untergang des Abendlandes geht er davon aus, dass die europäisch-nordamerikanische Kultur langsam von einer fremden Zivilisation abgelöst wird. Manche Kritiker benutzen diesen Kulturpessimismus um sich vom nicht-christlichen Osten abzugrenzen.
\n\nAm Ende der Weimarer Republik verbreiteten sich europäische Symbole und Publikationen über das abendländische Miteinander. Statt der politischen Integration stand allerdings die Verherrlichung des Mittelalters und des Katholizismus im Mittelpunkt. Die abendländische Identität wurde wenig später im Nationalsozialismus aufgegriffen: „der europäische Kulturkreis“ sollte vor dem „asiatischen Einfluss“ gerettet werden. Hitler beschwor 1943 nach dem Verlust Stalingrads, das europäische Abendland vor dem Bolschewismus zu verteidigen.
\n\nDie Verbindung zwischen der abendländischen Ideologie und nationalsozialistischer Propaganda war bei Kriegsende schnell vergessen. Der Begriff erlebte seine zweite Blütezeit. In den Nachkriegsjahren fühlten sich viele orientierungslos – in Gesellschaft und Politik wurden gemeinsame konservativ-bürgerliche Werte betont. Sie sollten Westeuropa vom Totalitarismus der Sowjetunion abgrenzen. In seiner ersten Regierungserklärung nannte Konrad Adenauer den „Geist christlich-abendländischer Kultur“ als Fundament seiner Kanzlerschaft.
\n\nDer Begriff des Abendlandes wurde immer wieder neu interpretiert und von verschiedenen Gruppen aufgegriffen. Aber meist waren es nicht gemeinsame Werte, die die Volksgruppen einten, sondern die Abgrenzung von anderen. So schloss die Bezeichnung Juden lange Zeit aus. In jüngster Zeit besinnt man sich auf die gemeinsamen Wurzeln der Religionen und spricht von einem „jüdisch-christlichen“ Abendland, das sich vor der Islamisierung schützen muss. Auch die aktuelle Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) zeigt dabei, wie dehnbar der Begriff des Abendlandes ist.
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