Hat der Euro die EU enger zusammengebracht oder auf die Probe gestellt? Wie stabil ist unsere Finanzwirtschaft und welchen Einfluss haben die derzeitigen politischen Entwicklungen darauf? Im Interview mit Der Kontext gibt Ökonom Philipp König Antworten.
Das Auf und Ab der Wirtschaft
Krisen sind immer auch wirtschaftliche Möglichkeiten
Philipp König arbeitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Dort beschäftigt er sich vor allem mit Geld- und Finanzmarktpolitik, Zentralbanken sowie Bankenregulierung.
- Welche Faktoren haben zur Einführung des Euro geführt?
Die Gründe für die Einführung einer gemeinsamen Währung in Europa liegen weit zurück. Bereits in den 1920er Jahren hat Gustav Stresemann in einer Rede vor der "League of Nations" die Bedeutung einer gemeinsamen Währung für einen Einigungsprozess in Europa betont. Diese sollte eine stärkere Einheit in Europa herstellen. Das wurde auch mehrmals versucht: Es gab den Werner Bericht in den 70er Jahren. Er sollte einen Entwurf für eine Wirtschafts- und Währungsunion darlegen. Pierre Werner war der Premierminister von Luxemburg und skizzierte ein Konzept zur Einführung einer gemeinsamen Währung. Das beruhte auf einer Verstärkung der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit, einer Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der Beseitigung von strukturellen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern. Der Vorschlag wurde aber schnell zu den Akten gelegt. Danach fing man an — zunächst in Europa — ein Festwechselkurs-System einzuführen. Es folgte die Eurosklerose — eine Verhärtung im europäischen Integrationsprozess. In den 1980er Jahren löste sie sich mit der gemeinsamen Agrarpolitik und stärker werdenden Handelsverflechtungen auf und lief dann 1986 auf die Unterzeichnung der einheitlichen Europäischen Akte hinaus. Dort wurde vereinbart, dass die Kapitalverkehrskontrollen in Europa aufgehoben werden. Das heißt, die Beschränkung, grenzüberschreitende Investitionen zu tätigen, grenzüberschreitend Anlagen zu kaufen, Bankeinlagen auszutauschen usw.
Dabei gab es aber ein Problem: Wir nennen das in der Ökonomie das makroökonomische Trilemma: Von drei möglichen Zielen sind immer nur zwei zu verwirklichen. Diese drei Ziele sind: ein fester Wechselkurs, eine Geldpolitik, die auf die heimische Wirtschaft ausgerichtet ist und grenzüberschreitender freier Kapitalverkehr.
Ich kann einen festen Wechselkurs haben und eine Geldpolitik, die auf meine heimische Wirtschaft ausgerichtet ist, aber dann brauche ich Kapitalverkehrskontrollen. Ich kann freien Kapitalverkehr haben und eine Geldpolitik, die auf meine Wirtschaft ausgerichtet ist, aber dann muss ich den Wechselkurs freilassen, damit er sich anpassen kann. Und ich kann einen Wechselkurs fixieren und freien Kapitalverkehr haben, aber da muss die Zentralbank den Wechselkurs permanent fixieren, also nur auf den Wechselkurs und nicht mehr auf heimische Schocks reagieren.
Das erklärt, warum zwischen der Einführung der Europäischen Akte und der Freigabe des Kapitalverkehrs und diesem Wechselkurssystem eine Spannung bestand: Die Mitglieder des europäischen Wechselkursmechanismus waren gezwungen, der Politik der Bundesbank zu folgen. Sie war deutlich stärker stabilitätsorientiert. Oder aber ihre Währung innerhalb der Möglichkeiten, die sie hatten, gegenüber der D-Mark abzuwerten. Vor diesem Hintergrund wollten vor allem die Franzosen und die Italiener eine Änderung dieses geldpolitischen Arrangements. Die Asymmetrien, die in diesem System bestanden haben, wollten sie nicht mehr hinnehmen. Das hat Hans-Dietrich Genscher in seinem Genscher Memorandum aufgegriffen und herausgestellt, dass es möglich ist, eine gemeinsame europäische Zentralbank zu schaffen. Er ist explizit auf die französisch-italienische Kritik eingegangen, aber — und das war außenpolitisch gesehen ein sehr cleverer Schachzug — er machte dies basierend auf den deutschen Standpunkten in Währungsfragen. Das heißt, er ist nicht von einer stabilitätsorientierten Geldpolitik abgewichen. Er hat darauf hingewiesen, dass man in geldpolitischen Fragen den Standpunkt der Bundesbank einnehmen soll. Aber er ging auf die anderen europäischen Länder zu, indem er eine gemeinsame Geldpolitik schaffen wollte. Das war im Prinzip der Kern, weswegen wir 1988 mit der Delors-Kommission eine Blaupause dafür hatten, wie der Übergang zu einer gemeinsamen Währung gestaltet werden soll. Die Kernidee war, dass für den europäischen Einigungsprozess eine gemeinsame Währung notwendig ist. Aber der tatsächliche Auslöser war die Spannung innerhalb des europäischen Währungssystems, nachdem man den Kapitalverkehr freigegeben und die Kapitalkontrollen aufgehoben hat.
Schwang bei der Einführung des Euro auch die Hoffnung mit, dass aus der Wirtschaftsunion auch eine politische Einheit wird?
So wie sich mir das darstellt — ich bin kein Historiker — ging es zunächst um wirtschaftliche Interessen. Aber das langfristige Ziel war es, zu einer politischen Einigung zu kommen. Es gab verschiedene Standpunkte: Einerseits die deutsche Position, die die Einführung einer gemeinsamen Währung als Krönung eines Integrationsprozesses bis hin zu einer politischen Union sah. Und andererseits die französische Position, dass man die Währung zuerst einführt, damit sie als Schrittmacher für die europäische Integration funktioniert. Man kann vielleicht sagen, dass sich die französische Position durchgesetzt hat: Zunächst den Euro einzuführen, um dann abzuwarten, welche Integrationsschritte daraus folgen.
Aber zeigt nicht die Eurokrise, dass die wirtschaftliche und politische Integration doch nicht so gut geklappt hat?
Das ist sehr schwer zu sagen. Aber ich würde den Begriff Eurokrise vermeiden. Er klingt wie eine Währungskrise. Das mag zwar zutreffen, aber zuerst gab es eine Schuldenkrise im Euroraum. Dann muss man sich fragen, wie diese Schuldenkrise mit der Einführung der gemeinsamen Währung zusammenhängt.
Wir hatten eine Staatsschuldenkrise in Griechenland, eine Schuldenkrise unter anderem ausgelöst durch eine Hauspreisblase in Spanien. Dort war zunächst nicht unbedingt die Staatsverschuldung das Problem, sondern die Verschuldung des privaten Sektors. Wir hatten eine massive Bankenkrise in Irland, die durch das Verhalten der Regierung zu einer Staatsschuldenkrise geworden ist, als die Regierung versucht hat, die Schulden der irischen Banken in nie da gewesener Höhe unbegrenzt zu garantieren.
Wir hatten keine einheitliche Krise und keine Krise der Währung. Davon würden wir erst dann sprechen, wenn der Wechselkurs sehr stark runter geht. Man kann natürlich argumentieren, dass durch die Einführung des Euro bestimmte Spannungen entstanden sind und es keinerlei Instrumente, Mechanismen und Institutionen gab, die das verhindert haben. Um ein Beispiel zu nennen: Mit der Einführung des Euro sind in Ländern wie Griechenland die Zinsen auf die Staatsschulden sehr massiv zurückgegangen.
Das hat unterschiedliche Gründe. Es hängt mit der Inflation zusammen. Zudem hat man erwartet, dass im Zweifel jemand einspringen wird. Das heißt, dass diese No-Bailout-Regel, die wir im Maastricht-Vertrag vereinbart haben, nach der kein Land die Schulden eines anderen Landes übernehmen darf, wahrscheinlich nicht so glaubwürdig war, wie man gehofft hat.
Die niedrigen Zinsen, zum Beispiel in Griechenland, haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Schuldenaufnahme in diesen Ländern sehr stark gestiegen ist. Griechenland hatte zwischenzeitlich negative Sparquoten, das heißt, sie haben entspart. Sie hatten einen massiven Konsumboom. Die Immobilienblase in Spanien ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass wir eine einheitliche Geldpolitik hatten. Anfang der 2000er hat die Geldpolitik für den Euroraum auch ein Stück weit auf die deutsche Situation reagiert. Damals ging es uns in Deutschland nicht so gut. Die europäische Zentralbank hat eine relativ lockere Geldpolitik betrieben, was wiederum in Ländern wie Spanien zu einem Anstieg der privaten Verschuldung und zu starken Investitionen auch im Immobiliensektor geführt hat. Das hat zur Immobilienblase beigetragen. Wir hatten keine Instrumente, kein Frühwarnsystem, das dies erkannt hätte oder gegensteuern hätte können.
Darüber hinaus ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraumes sehr heterogen. Ein Indikator sind beispielsweise die sogenannten Lohnstückkosten. Die Lohnstückkosten in Deutschland sind deutlich niedriger als in anderen Ländern, das heißt, Deutschland ist aus preislicher Wettbewerbsfähigkeit deutlich wettbewerbsfähiger als die anderen Länder.
Das führt dazu, dass die Leistungsbilanz, also der Unterschied zwischen Exporten und Importen, sich für Länder verschlechtert, die weniger wettbewerbsfähig sind. Das geht notwendigerweise mit einer Schuldenaufnahme einher. Dieses Auseinanderlaufen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit war etwas, was man nicht beachtet hat.
Die realen Wechselkurse hat man aus dem Blick verloren. Während Länder wie Spanien, Griechenland und Italien relativ aufgewertet haben gegenüber Deutschland, hat Deutschland relativ abgewertet. Es konnte dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern, seinen Leistungsbilanzüberschuss erhöhen, während andere Länder ein Leistungsbilanzdefizit aufgewiesen, was dann mit einer hohen Schuldenaufnahme einherging.
Alle diese Faktoren zusammen mündeten in der Krise. In einem gewissen Sinn war die Krise aber auch Wegbereiter der Reformen, die wir dann im Euroraum vorgenommen haben, insbesondere der institutionellen Reformen.
Welche Instrumente wurden geschaffen, um solchen Krisen zu begegnen? Sind sie gesamteuropäisch angelegt oder kümmert sich doch wieder jeder um sich selbst?
Es gibt verschiedene Instrumente. Das wahrscheinlich wichtigste ist die Bankenunion. Bei der Schaffung des Euro hat man völlig ausgeblendet, dass man zwar freien Kapitalverkehr hat und eine gemeinsame Geldpolitik, aber dass jedes Land selber für die heimischen Banken zuständig war. Das war vom Gesichtspunkt der Finanzstabilität fatal. Mit der gemeinsamen Bankenunion machen wir das Finanzsystem der Eurozone deutlich stabiler. Die Bankenunion bedeutet, dass wir für die wirklich großen Banken eine einheitliche Aufsicht und Abwicklungsregelung bekommen. Diese ist bei der EZB in Frankfurt angesiedelt. Darüber hinaus versuchen wir, den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten im Euroraum zu brechen. Die Banken in den einzelnen Ländern hatten sehr viele Vermögenswerte, die von den Risiken ihres eigenen Staates abhängig waren. Gleichzeitig waren die Staaten aber zuständig für diese Bankensysteme: Wenn eine solche Bank kollabiert, musste der Staat diese Bank mit Steuergeldern rekapitalisieren oder retten.
Je mehr Risiko die Bank gegenüber dem Staat hat, umso anfälliger wird sie für Probleme, die der Staat hat; aber wenn die Bank anfällig wird, bekommt der Staat im Zweifel ein Problem, weil er die Bank retten muss.
Durch neue Regelungen sollen Banken nicht mehr durch Bail-outs gerettet werden, also durch Zahlung von Steuergeldern an die Kreditgeber der Banken, sondern durch einen sogenannten Bail-in. Das heißt, dass zunächst — bevor überhaupt irgendwelche staatlichen Gelder fließen — die Kreditgeber der Banken einen Verlust einstecken müssen. Diese Regelung macht das Bankensystem stabiler. Der zweite — noch ausbaufähige — Schritt ist das sogenannte makroökonomische Ungleichgewichtsverfahren, also eine stärkere Überwachung von Kernindikatoren, die auf Fehlentwicklungen hindeuten können, um frühzeitig zu korrigieren.
Kann auf dem Weg zu einem Wirtschaftsraum eine Kapitalmarktunion hilfreich sein?
Ja, absolut. Die Kapitalmarktunion gehört zu den Schritten, die man jetzt gehen muss. Das bedeutet die Aufhebung von Hemmnissen im Kapitalverkehr, besseren Zugang zu Finanzmarktinstrumenten und eine Vereinfachung der Kapitalaufnahme durch Unternehmen, die bislang vor allem von den Banken abhängig waren. Solche Maßnahmen sind sicherlich sehr sinnvoll, aber der erste wichtige Schritt war die Bankenunion.
Wird das gesamte System dadurch widerstandsfähiger gegen Krisen?
Ja, durch die Bankenunion schaffen wir eine Verbesserung der Aufsicht. Durch eine gemeinsame Einlagensicherung, falls sie irgendwann kommen sollte, würden wir einen höheren Grad an Sicherheit vor allem für Kleinanleger schaffen. Das Risiko, dass der Bankrott einer Bank sofort ein ganzes Land mit in den Abgrund zieht, wird dadurch deutlich verringert.
Man versucht außerdem Regeln zu schaffen, nach denen vor allem die Kreditgeber der Banken zunächst in die Haftung genommen werden. Diese Haftungszurechnung ist sehr wichtig, weil sich dadurch auch die Zinsen, die die Banken bezahlen müssen, wenn sie auf den Märkten Geld aufnehmen, den Risiken besser anpassen.
Wichtig ist auch, dass man versucht, die Schuldenregeln im Euroraum weiter einzuhalten, also die selbst gesetzten Regeln für die staatliche Schuldenaufnahme. Es ist nicht ganz klar, wie man hier einen Sanktionsmechanismus schafft, der wirklich glaubwürdig sind. Wenn ich feststelle, dass ein Land wesentliche Indikatoren über einen längeren Zeitraum hinweg nicht erreicht, wie kann ich sicherstellen, dass dort tatsächlich Reformen umgesetzt werden? Die Praxis wird zeigen, ob wir funktionierende Sanktionsmechanismen haben.
Welchen Werten folgt eine Wirtschaftsunion?
Die grundlegende Idee der europäischen Einheit ist, dass freier Handel, freier Kapitalverkehr und das Recht innerhalb des gemeinsamen Europas überall zu arbeiten und das Migrationsrecht langfristig gesehen zu mehr Wohlstand führt. Das zeigt schon die Überzeugung, dass eine Wirtschaftsunion dem Wohle der Bevölkerung dient. Der zweite wichtige Aspekt ist, dass diese europäische Einigung auch mit einer Friedensidee einherging. Man hat festgestellt, dass das beste Mittel, um Kriegen entgegen zu wirken, eine wirtschaftliche Verflechtung ist.
Wo steht die EU gerade und wohin wird sie sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln?
Worunter wir eigentlich leiden, ist die politische Instabilität sowie die Irrationalität, die in Bewegungen wie der Brexit Bewegung, der italienischen Cinque Stelle oder der französischen Front National zum Tragen kommt. Der Glaube, dass die einzelnen Länder das alleine schaffen, dass es funktioniert, wenn wir die Grenzen wieder dicht machen, wenn wir den Euro abschaffen. Vielleicht war der Euro ein Fehler, vielleicht hat man ihn zu früh eingeführt. Aber ihn aufzugeben, wäre ein noch größerer Fehler. Dies hätte Verwerfungen zur Folge, die zu noch mehr politischer Instabilität führen. Wir stehen vor großen Herausforderungen und sicherlich ist die politische Struktur im Euroraum, beziehungsweise in der europäischen Union im Augenblick nicht unbedingt sehr vertrauensfördernd.
Wir werden im nächsten Jahr sehen, was dabei herauskommt, wenn wir in den europäischen Kernländern — den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, Italien — Wahlen haben. Wenn wir Pech haben, ist es eine Cinque-Stelle-Regierung in Italien, ein Front National in Frankreich und eine starke AfD in Deutschland und dann brauchen wir uns über den Euro nicht mehr zu unterhalten.