TTIP gefährdet die Kulturszene in Europa, befürchtet der Deutschen Kulturrat, der Dachverband der Kultureinrichtungen. Die gefühlte Gefahr war so groß, dass sie sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Sie riefen ihre 247 Mitgliedsverbände dazu auf, gegen TTIP zu protestieren – ein Akt, den es nie zuvor in der Geschichte der Organisation gegeben hat.
Ihre Forderung: Die derzeitigen TTIP Verhandlungen müssen gestoppt werden, um sie danach – mit anderen Voraussetzungen – wieder neu zu starten. Denn gegen Freihandelsabkommen per se sei nichts einzuwenden, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates: „Wenn ich ein Freihandelsabkommen verhandele, dann verhandele ich selbstverständlich auch über den Kulturbereich – schließlich ist das genauso ein Wirtschaftsbereich wie andere auch. Das bedeutet aber, dass man sich genau überlegen muss, was die Ziele einer solchen Verhandlung sind.“
Bislang hatte der Kulturverband keinen Erfolg mit seiner Forderung und verhandelt deswegen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Europäischen Kommission darüber, TTIP so gut wie möglich in ihrem Sinne zu beeinflussen. „Es geht darum, konkrete Sicherungen einzuziehen, zum Beispiel, dass die öffentliche Kulturfinanzierung rechtssicher ausgenommen werden kann.“
Welche Befürchtungen es gibt, haben wir hier für dich aufgeschlüsselt:
Befürchtung: „Subventionen und Buchpreisbindung könnten abgeschafft werden“
TTIP ist dazu gedacht Handelshemmnisse abzubauen. Und die Kulturszene befürchtet, dass Subventionen für kulturelle Einrichtungen wie Theater oder Regeln wie die Buchpreisbindung von amerikanischen Unternehmen als Handelshemmnis interpretiert und deswegen abgeschafft werden könnten.
„So etwas wie die Buchpreisbindung darf kein Handelshemmnis sein. Letztendlich ist es ein positives Instrument, um kulturelle Vielfalt zu ermöglichen. Ein Freihandelsabkommen, dass das anerkennen würde, wäre ein gutes Abkommen,“ sagt Zimmermann.
Kritiker dieser Position betrachten die Argumente durch eine andere Brille: Kultursoziologe und Unternehmensberater Dieter Haselbach sagte im Deutschlandradio Kultur, dass TTIP vielleicht auch deswegen Angst auslöse, weil es die bisherige Förderung der Kulturlandschaft komplett hinterfrage - und niemand lasse sich gern infrage stellen.
Es gehe bei den Diskussionen auch immer um Besitzstandswahrung: Es sei einfacher TTIP und die Buchpreisbindung als Angst vorzuschieben - anstatt zu überlegen, wie man zukunftsfähiger werden kann angesichts eines Buchhandels, der sich unter Konkurrenzdruck mit Riesen wie Amazon immer mehr ins Internet verlagere.
Befürchtung: „Entgegen der Versprechen ist der Kulturbereich nicht von TTIP ausgenommen“
Auch wenn es immer heißt, der Kulturbereich sei aus den Verhandlungen ausgeklammert, ist er es de facto nicht „Er ist mitten drin in den Verhandlungen. Und das ist auch ganz normal“, sagt Zimmermann.
Verhandelt wird mit sogenannten Negativlisten, das heißt, alles, was nicht ausdrücklich – auf dieser Liste – davon ausgeschlossen wird, ist automatisch über den Vertrag geregelt.
Zwar soll im Vorwort zu TTIP stehen, dass der Kulturbereich nicht Gegenstand des Vertrages ist – doch das reicht nicht: „Rechtliches Ausnehmen bedeutet nicht, dass ich einfach in die Präambel reinschreiben kann, dass der Kulturbereich nicht gemeint ist. Rechtliches Ausnehmen heißt, ich muss in jedem der 28 Unterkapitel, in jedem Annex, in jedem einzelnen Abschnitt, rechtssicher eine Formulierung finden, die dort den Kulturbereich ausnimmt. Und schon allein beim Formulieren solcher Ausnahmen stoßen wir gerade im Kulturbereich ganz schnell an Grenzen“, erklärt Zimmermann.
Wie komplex das tatsächlich ist, zeigt sich am Beispiel von Filmen: Auf Initiative Frankreichs wurden „audiovisuelle Medien“ auf die Negativliste gesetzt und damit von den Verhandlungen ausgeschlossen.
Nun könnte man leichthin annehmen, dass das alle Filme betrifft. Tatsächlich ist dem nicht so. Das bedeutet nur, dass die audiovisuellen Produkte nicht in einem eigenen Kapitel verhandelt werden. Filme der öffentlich rechtlichen Anstalten etwa könnten trotzdem Bestandteil von TTIP werden, erläutert Zimmermann: „Die Amerikaner sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine audiovisuelle Dienstleistung ist, sondern für sie mit zur Telekommunikation zählt. Und damit wären sie mit in den Verhandlungen, auch in dem Kapitel zu Dienstleistungshandel aufgenommen“.
Befürchtung: „Es gibt keine klare Idee, wie sich der Kulturbereich schützen lässt“
„Zwei Jahre lang hat uns das Wirtschaftsministerium erzählt: 'Ihr seid hypernervös. Wir wissen gar nicht wo es ein Problem geben sollte. Wir können gar nicht verstehen, wo ihr betroffen sein sollt.'“, erinnert Zimmermann. Inzwischen habe man die Gefahren verstanden und schriftlich festgehalten – ein erster Schritt. „Sie sagen zwar, dass sie uns vor den Gefahren schützen wollen, aber nicht wie. Politik ist keine Glaubensfrage – ich muss handfeste Maßnahmen haben, die man nachvollziehen kann. Daran fehlt es eben, deswegen streiten wir auch darüber“. Streiten könnte man auch darüber, ob das, was da gerade diskutiert wird, überhaupt schützenswert ist, kommentiert ein Kulturredakteur der FAZ. Statt der Abschaffung alter Prinzipien solle der der Kulturrat eher etwas anderes fürchten: dass wir uns als Gesellschaft bewusst würden „wie brav, niedlich und obrigkeitshörig unsere Kultur geworden ist“ – TTIP als Chance, dass sich unser Kulturbegriff neu erfindet.
Befürchtung: „Der kleinste gemeinsame Nenner könnte zu klein sein“
Was für amerikanische Unternehmen richtig ist, ist für deutsche Unternehmen nicht richtig – und umgekehrt. In den Verhandlungen werden zu große Unterschiede ausgeklammert oder man versucht sich anzunähern. „Bisher müssen wir erleben, dass sie letztendlich immer günstig für die amerikanischen Kultur-Multis sind und ungünstig für unsere eher kleinteiligen Strukturen. Deswegen sagen wir, so kann das nicht weiterverhandelt werden“, erklärt Zimmermann die Position des Kulturrates.
Ein ganz konkretes Beispiel: Urheberrecht. „Das europäische Urheberrecht ist ein künstlerzentriertes Urheberrecht. Ich kann als Künstler das Recht an meinem Werk ja gar nicht verlieren, sondern ich kann nur Nutzungsrechte verkaufen, aber ich bleibe immer der Urheber. Das Copyright-System in den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein vollkommen anderes. Dort kann ich dem Künstler sein Urheberrecht abkaufen. Dann bin ich als derjenige, der ihm eine Aufwandsentschädigung gegeben hat, der Urheber des Werkes. So etwas gibt es in Europa gar nicht. Was sollen wir dann in solchen Verhandlungen gewinnen? Selbst ein Kompromiss zwischen dem Copyright-System und dem europäischen Urheberrechtssystem gefunden werden würde, wäre es eine Verschlechterung unserer Situation.“
Wie realistisch die Ängste sind, lässt sich nicht sagen, weil hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Die Leaks von Greenpeace Anfang Mai 2016 scheinen die Befürchtungen teils zu bestätigen. Aber erst nach Abschluss der Verhandlungen wird klar sein, wie viele der Befürchtungen sich wirklich bewahrheiten. Doch eines steht für Zimmermann jetzt schon fest: „Die Kollegen, die ich im Bundeswirtschaftsministerium treffe, reiben sich oft die Augen und sagen zu mir 'Zimmermann, wir sind doch früher auch nicht transparent gewesen und ihr habt euch nicht darüber aufgeregt.' Das ist richtig, entgegne ich dann, weil wir es nicht gewusst haben. Aber jetzt wissen wir es und deswegen gibt es keinen Weg zurück mehr. Das heißt, wir werden in Zukunft eine andere Form von Verhandlungen solcher internationalen Wirtschaftsabkommen haben.“
Dem Kulturrat wurde oft vorgeworfen, zu hysterisch zu reagieren und zu radikal in seiner Forderung zu sein. Aber es gibt auch die andere Sichtweise: Dass man erstmal Lärm machen muss, um Aufmerksamkeit zu schaffen und diese zu nutzen, eine sachlichere Diskussion anzustoßen.