Den Überblick beim komplexen Thema TTIP (also dem geplanten europäisch-amerikanischen Handelsabkommen) zu haben und zu behalten, ist nicht einfach. Wir haben deswegen jemanden gefragt, der sich schon sehr lange damit befasst. Wirtschaftswissenschaftlerin und Journalistin Petra Pinzler verfolgt die Verhandlungen und Diskussionen seit Jahren und hat das Buch „Der UNfreihandel“ verfasst. Die wichtigsten Aspekte haben wir danach in sechs Fragen und Antworten zusammengefasst:
6 Fragen und Antworten zu TTIP
Das Wichtigste in kurz
- 1. Wofür sind Handelsabkommen gut?
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Ursprünglich wurden sie eingeführt, um politische und wirtschaftliche Beziehungen nicht zu mischen. Stritt sich eine Regierung mit der eines anderen Landes, litt oft auch der Handel. Die Abkommen sollten sicherstellen, dass die Unternehmer beider Länder weiterhin Waren austauschen konnten, ein politischer Krach also nicht noch durch ökonomische Probleme verschlimmert wurde.
Außerdem sollten solche Abkommen die Zölle senken und für gemeinsame Regeln sorgen, und so den Außenhandel steigern. Lange verhandelten die meisten Regierungen darüber mit vielen anderen bei der Welthandelsorganisation WTO. Ihr Ziel war, Regeln nicht nur für einige Staaten, sondern für möglichst viele einheitlich zu gestalten. Doch in den vergangenen Jahren wurden die Politik der WTO immer stärker von mächtigen Ländern und Blöcken, wie den USA, der EU und Japan bestimmt. Das wollten sich viele Entwicklungsländer immer weniger bieten lassen, Schwellenländer wie Brasilien oder China wurden zunehmend selbstbewußter. Zudem klafften die Interessen der Länder immer stärker auseinander. Also ließen sich große WTO-Abkommen kaum noch vereinbaren.
Um dennoch den Außenhandel weiter anzukurbeln, begannen Regierungen bilaterale Handelsabkommen zu schließen - mit denen sie ihren Markt zumindest stückweise für die Produkte des Partners öffneten. Dabei spielten Zölle eine immer geringere Rolle. Viel wichtiger war es, die Standards, beispielsweise für die Sicherheit eines Produktes, anzugleichen - so dass ein Unternehmen mit einer Produktionslinie gleich zwei Länder beliefern und damit günstiger produzieren kann. Außerdem steckt hinter diesen Abkommen immer auch eine Weltanschauung: der Glaube, dass mehr Wettbewerb und mehr Privatisierung gut für die Wirtschaft und damit für ein Land sind.
Nichts anderes soll auch TTIP: Es soll als ein bilaterales Handelsabkommen zwischen den zwei stärksten Wirtschaftskräften der Welt, deren Unternehmen einen leichteren Zugang zum Markt des jeweils anderen bieten. Und so für Wachstum und Jobs sorgen.
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2. Was ist ein Handelshemmnis?
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Wie der Name schon verrät, ist ein Handelshemmnis alles, was den Handel hemmt. In der klassischen Variante sind das Zölle (so genannte „tarifäre Handelshemmnisse“), weil sie Produkte teurer und so das Geschäft über die Grenzen hinweg schwieriger machen. Es gibt aber auch andere, so genannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse: beispielsweise Vorschriften darüber, welche Tests ein neues Medikament durchlaufen muss oder wie viel Zentimeter Abstand das Rücklicht eines Autos zum Boden haben muss. Hier müssen Unternehmer immer Kosten und Nutzen abwägen: lohnt es sich, zusätzliche Tests für ein Produkt in Kauf zu nehmen oder andere Varianten herzustellen, wenn man sie dafür auf einem zweiten Markt anbieten kann?
Durch TTIP sollen solche Handelshemmnisse abgeschafft werden. Das klingt einfach, ist jedoch im Detail höchst kompliziert. Denn was für den einen ein Hindernis ist, ist für den anderen eine Errungenschaft. Deswegen macht die Idee, nicht-tarifären Hindernisse zu streichen, vielen Bürgern hierzulande Angst. Es gibt in Europa viele Vorschriften - beim Umwelt- oder Arbeitsschutz - die sie nicht aufgeben wollen: beispielsweise das Verbot, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu verkaufen. Amerikanische Lebensmittelproduzenten wollen diese Regel hingegen gern streichen. Sie finden, das ist ein unnötiges Hindernis.
Es gibt drei Szenarien, wie Standards durch TTIP verändert werden könnten: Im ersten Szenario werden die Schutzniveaus der beiden Partner durch den TTIP Vertrag einfach als gleichwertig angenommen. Als Folge gibt es einen Wettlauf nach unten, denn mit einem niedrigeren Standard kann man billiger produzieren. Also opfert die EU ihre hohen Standards und passt sich den niedrigeren US-Standards an. Oder umgekehrt. Die EU-Verhandler halten dagegen: Das wird nicht passieren! Jeder behält seine Regeln. Es wird kein Absenken geben. Die Frage ist allerdings: Worüber will man dann noch verhandeln?
Im zweiten Szenario behalten die Vertragsparteien vorerst ihre jeweiligen Standards und die gelten dann auch weiter für die Exporteure des anderen Landes. Sie nehmen sie nur dort als gleichwertig an, wo sie es nachweislich auch sind - also beispielsweise bei den Scheibenwischern von Autos. Damit würden dann Schutz und Sicherheit auf dem jetzigen Niveau festgeschrieben. TTIP würde also am Status Quo wenig ändern. Neue strengere Regeln könnten aber trotzdem schwierig werden - je nachdem wie viel Mitspracherecht der Vertrag der jeweils anderen Seite gibt.
In einem dritten Szenario gibt es eine langsame Erosion des Schutzes - durch die so genannte „regulatorische Kooperation“. Durch die können die Bürokraten auf beiden Seiten langsam neue gemeinsame Regeln schaffen. Das birgt die Gefahr, dass sie quasi an den Parlamenten vorbei und unter starkem Einfluss der Unternehmenslobbies neue, schlechte Regeln aufschreiben. Die schützen die Bürger und die Umwelt dann künftig weniger als solche, die Europa sich allein geben würde.
Ausschnitt aus dem Telefoninterview: Petra Pinzler – Handelshemmnisse und Handelspolitikideologie
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3. Was sind Positiv- und Negativlisten?
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Positiv- und Negativlisten sind unterschiedliche Verhandlungsweisen. Die EU hat in der Vergangenheit vor allem mit Positivlisten verhandelt. Auf die schreiben die Partner alles, was das Abkommen einschließen soll, beide gleichen ihre Listen im Verlauf der Verhandlung zu einer gemeinsamen Fassung ab.
Die USA haben dann die Negativlisten erfunden. Auf die schreibt ein Verhandlungspartner alles, was vom Abkommen ausgenommen werden soll. Negativlisten sind also viel weitreichender: Alle Regeln, Gesetze oder Märkte, die nicht auf der Negativliste steht, sind automatisch vom Abkommen betroffen. Problematisch sind Negativlisten daher vor allem in Hinblick auf künftige Erfindungen. Denn sie betreffen ja automatisch auch Bereiche, die heute noch niemand kennt. Neue Techniken beispielsweise oder neue Märkte. Die sind dann unmittelbar für die Unternehmen des anderen Landes zugänglich, sie können beispielsweise nicht wieder verstaatlicht werden. Negativlisten sind also mächtige Hebel für die Privatisierung und Liberalisierung von Märkten. Durch sie schränkt ein Handelsabkommen den politischen Spielraum einer Demokratie mächtig ein.
Bei TTIP wird mit einer Mischform verhandelt, den sogenannte Hybridlisten.
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4. Was sind die wichtigsten Argumente für oder gegen TTIP?
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Die deutsche Regierung sowie die EU-Kommission nennen als Hauptargument für TTIP gern Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Aber sie tun sich schwer, diese Behauptung mit seriösen Prognosen zu unterfüttern.
Die Argumente gegen TTIP sind zahlreich, drei aber tauchen immer wieder auf: Gegen TTIP spricht, dass in dem Abkommen nicht nur Zollsenkungen verhandelt, sondern hart erkämpfte Errungenschaften aufgegeben werden. In Deutschland sorgen sich viele Menschen beispielsweise davor, dass künftig verstärkt Lebensmittel aus den USA importiert werden, die unter schlechteren Bedingungen produziert wurden. Etwa Gemüse mit höheren Pestizidrückständen. Viele fragen sich, wieso sie so etwas für ein vages Wachstumsversprechen hinnehmen sollten. Sie sehen ihre Interessen nicht richtig von der EU-Kommission vertreten, die der Wirtschaft hingegen sehr stark.
Als zweites Argument führen Gegner das Aushebeln der Demokratie an: Sie argumentieren, dass durch TTIP viele Regeln, die eigentlich von Parlamenten gemacht werden müssen, nun von Handelsexperten endgültig festgeschrieben werden und dass die gewählten Politiker sie dann nicht mehr rückgängig machen können.
Das dritte Argument bezieht sich auf die Machtverteilung: Sollte TTIP sogenannte Schiedsgerichte ermöglichen, könnten amerikanische Unternehmen die Europäischen Mitgliedsstaaten verklagen, wenn sie ihre Investitionen durch deren Entscheidungen geschädigt sehen. Dieses Druckmittel verlagert die Macht weg von der Politik hin zur Wirtschaft. Viele Bürger finden es deswegen falsch, solche Sondergerichte für die Wirtschaft zuzulassen.
Verstärkt werden die Sorgen der Kritiker noch durch die Intransparenz der Verhandlungen. Nach Protesten stellt die EU einen Teil ihrer Vorschläge zwar ins Netz, doch auf der US Seite gibt es solche Einblicke nicht. Erst Greenpeace veröffentlichte Anfang Mai 2016 die amerikanischen Wünsche – und die bestätigen viele Sorgen der Europäer.
Ausschnitt aus dem Telefoninterview: Petra Pinzler – Für und Wider TTIP
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5. Müssen Europäer die Absenkung von ihren Standards befürchten?
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Die politischen Verhandler betonen, dass das nicht passieren wird. Ein Kernproblem sind jedoch die unterschiedlichen Traditionen der US und der EU - beispielsweise beim Verbraucherschutz; Amerikaner gehen mit Risiken ganz anders um als Europäer. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip, nach dem ein Unternehmer erst die Unbedenklichkeit seines Produktes nachweisen muss, bevor er es verkaufen kann. In den USA gibt es stattdessen das Nachsorge-Prinzip: Ein Produkt kann sofort auf den Markt, sollte es aber Probleme verursachen, so muss der Anbieter für den entstandenen Schaden aufkommen.
Beide Systeme sind in sich schlüssig, auch wenn es natürlich immer wieder Verstöße und Skandale gibt. In den USA sind Unternehmen wegen möglicher Milliardenklagen vorsichtig – oder sollten es sein. In Europa können die Behörden Vorsorge treffen – oder sollten es tun. Werden aber beide Prinzipien beibehalten, und zugleich ein Markt geschaffen, in dem sie als gleichwertig gelten, dann haben die europäischen Produzenten durch das – für den Verbrauer vorteilhafte – Vorsorgeprinzip einen Wettbewerbsnachteil. Denn ein amerikanischer Anbieter kann ein neues Produkt relativ schnell auf den Markt bringen, während sein europäischer Konkurrent unter Umständen Jahre braucht, um die notwendigen Tests und Zulassungen zu bekommen. Bis der dann auch sein Produkt anbieten kann, hat das amerikanische Unternehmen den Markt bereits für sich erschlossen und vereinnahmt. Wäre es ein transatlantischer Markt, hätte er also einen eindeutigen Vorteil – ohne dass ihn die Europäer dann bei einem mangelnden Produkt ähnlich hart wie die Amerikaner auf Schadensersatz verklagen könnten.
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6. Können die TTIP-Verhandlungen noch gestoppt werden?
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Ja. Bisher verhandeln die EU-Kommission und die amerikanische Regierung über den Vertrag. Sie werden ihn, wenn es nach ihren Plänen geht, am Ende auch fertig aufschreiben und „paraphrasieren“ - also vorläufig unterzeichnen. Spätestens wenn sie diesen fertigen Vertrag vorgelegt bekommen, könnten das EU-Parlament, die europäischen Regierungen aber auch der amerikanische Kongress ihn ablehnen. Dann wäre TTIP gescheitert. Möglicherweise kann auch der Bundestag über ihn abstimmen, doch das ist nicht sicher. Dieses Recht haben in Europa nationale Parlamente nur, wenn TTIP ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“ wird - wenn es also die Rechte der nationalen Parlamente betrifft. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es ums Geld geht – dann wäre das Haushaltrecht des Bundestages betroffen. Das wäre der Fall, wenn der Vertrag es also beispielsweise zulassen sollte, dass Deutschland von amerikanischen Firmen verklagt werden kann.
Doch auch in der jetzigen Verhandlungsphase gäbe es die Möglichkeit, TTIP zu stoppen. Dafür müssten die Regierung der EU-Kommission einfach nur das Verhandlungsmandat entziehen. Sie könnten es aber auch nur verändern - oder der Kommission im so genannten handelspolitischen Ausschuss, in dem sich die zuständigen Minister regelmäßig in Brüssel mit der Kommissarin treffen, einfach eine andere Richtung vorgeben. Letzteres würde wahrscheinlich am meisten Sinn machen: In der Verhandlungsphase lässt sich noch viel verändern. Gibt es erst einmal einen Vertragsentwurf, lässt sich nicht mehr viel machen. Dann können die Parlamente ihn meist nur annehmen oder ablehnen.
Noch schwieriger wird es danach: Ist ein Handelsvertrag erst einmal in Kraft – dann könnte Deutschland zwar theoretisch aus dem Vertrag aussteigen – praktisch ist das jedoch undenkbar und fast noch schwieriger als aus der EU auszusteigen. Besonders ärgerlich finden viele Kritiker, dass Abkommen sogar schon gelten können, bevor die nationalen Parlamente überhaupt darüber entschieden haben. So war es in der Vergangenheit, beispielsweise beim Abkommen zwischen der EU und Korea. Und so möchte die Kommission auch bei CETA vorgehen, dem Abkommen zwischen EU und Kanada.
Auch aus diesen Gründen setzen TTIP-Kritiker viel daran, bereits vor Abschluss der geheimen Verhandlungen möglichst viel über deren Inhalt zu erfahren: Um das Schlimmste zu verhindern.
Ausschnitt aus dem Telefoninterview: Petra Pinzler – Alternativen zu TTIP