Petra Becker ist Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP Berlin). Dort beschäftigt sie sich seit mehreren Jahren mit dem Wandel im arabischen Raum, mit speziellem Fokus auf die Dynamiken in Syrien.
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Wie entstand der Konflikt in Syrien und wer war ursprünglich beteiligt?
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Inspiriert durch die Revolutionen in Tunesien und Ägypten kam es im März 2011 zu einem Volksaufstand in Syrien. Die Syrer hatten die Ereignisse in den übrigen Ländern mit einer Mischung aus Enthusiasmus und Besorgnis verfolgt. Einerseits waren sie positiv überrascht zu sehen, dass auch in einem Polizeistaat wie Tunesien politische Veränderungen möglich sind. Andererseits hatten sie Angst davor, dass das syrische Regime mit Gewalt reagieren würde, falls es auch in Syrien zu Protesten kommen sollte.
Präsident Bashar Al-Assad, der nach dem Tod seines Vaters Hafez im Jahr 2000 die Macht übernommen hatte, hatte sich ein Jahrzehnt lang als Reformer präsentiert, seine politischen Reformversprechen aber nicht eingehalten. Zwar gab es unter ihm größere Spielräume als unter seinem Vater, wer aber grundlegende politische Reformen einforderte oder die Korruption des Assad-Clans thematisierte, bezahlte das mit Gefängnis oder Schlimmerem. Wirtschaftliche Reformen – Umwandlung von Planwirtschaft zu Marktwirtschaft – hatten zu einer großen Kluft zwischen Arm und Reich geführt. Außerdem hatte das Land wie alle arabischen Länder mit großer Jungendarbeitslosigkeit zu kämpfen.
Als es im März 2011 zu ersten Protesten in der Stadt Deraa kam, reagierte das Regime mit so exzessiver Gewalt, dass der Aufstand sich innerhalb weniger Wochen über das ganze Land ausbreitete. Die Oppositionsparteien – von links über liberal bis religiös-konservativ – hatten nach 40 Jahren Diktatur keine ausreichenden Strukturen mehr, um eine Rolle zu spielen. Es waren im wesentlichen Aktivisten der Zivilgesellschaft, die im ganzen Land ein Netzwerk von Revolutionsräten gründeten, um die Forderungen nach einem Sturz des Regimes mit Inhalt und positiven Forderungen zu füllen: Würde, Brot, politische Teilhabe, Gleichheit vor dem Gesetz usw.
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Welche Konfliktparteien haben sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert?
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Zu Beginn war es ein Konflikt zwischen dem Volk und dem Regime. Das Regime hat sehr schnell begriffen, dass es nur gewinnen kann, wenn es die Konfessionen und Ethnien gegeneinander ausspielt.
Syrien ist ein multi-konfessioneller und multi-ethnischer Staat. 70 Prozent der Syrer sind Sunniten, die restlichen 30 Prozent setzen sich aus etwa 10 Prozent Christen, 10 Prozent Alawiten sowie Drusen, Ismailiten und anderen kleinen Religionsgemeinschaften zusammen. Ethnisch gesehen sind die Sunniten zum Großteil Araber, etwa 10 Prozent sind Kurden. Die Christen sind Araber, Assyrer, Aramäer oder Armenier.
Dem Regime ist es durch konsequente Desinformation im In- und Ausland gelungen, die Revolution als einen Aufstand von Dschihadisten gegen ein säkulares Regime zu denunzieren. Sich selbst präsentierte das Regime als Schutzmacht der Minderheiten im Land. Dazu muss man wissen, dass der Assad-Clan selbst zu den Alawiten gehört und an den wichtigsten Schaltstellen in Militär und Geheimdiensten Alawiten sitzen.
Das hat dazu geführt, dass der Konflikt sich konfessionalisiert hat. Viele Angehörige der Minderheiten, die sich anfangs an den Demonstrationen beteiligt hatten, zogen sich auf Grund dessen aus der Revolutionsbewegung zurück. Auf der anderen Seite sahen sich die Sunniten im Stich gelassen und wurden offener für die Rhetorik extremistischer sunnitischer Prediger aus dem Ausland, die die Minderheiten als Kollaborateure des Regimes darstellten.
Zudem hat sich der Konflikt militarisiert und internationalisiert. Während das Regime politisch, finanziell und militärisch von Russland und dem Iran unterstützt wird, hat sich 2012 eine breite Koalition aus vornehmlich westlichen Staaten – u.a. die USA und die EU – zusammengefunden, die die politische Opposition im Ausland unterstützen: die sogenannten „Friends of the Syrian People“.
Ihr gehören auch Golfstaaten wie Saudi-Arabien und Qatar an sowie die Türkei. Damit haben wir nicht nur einen Konflikt zwischen Russland und dem Westen, sondern auch einen Konflikt zwischen Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran, die um die Vorherrschaft im Nahen Osten konkurrieren und deswegen in Syrien nicht nachgeben wollen.
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Was sind die Motive internationaler Akteure wie den USA und Russland sich in den Konflikt einzuschalten?
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Das Hauptinteresse Russlands besteht darin, wieder als Großmacht wahrgenommen zu werden. Daneben hat Russland ein Interesse daran, eine Präsenz am Mittelmeer zu behalten. Zurzeit baut es weitere Militärstützpunkte in Syrien auf und aus. Diese beiden Ziele hat es also erreicht. Zudem will Russland verhindern, dass es in einem seiner Bündnisländer zu einer gelungenen Revolution kommt, die Schule machen könnte. Ein weiteres Ziel mag sein, dass es seinen Bündnispartnern signalisieren will, dass auf Partnerschaften mit Russland Verlass ist.
Bei den USA ist es gerade anders herum: Die USA haben sich eben nicht – zumindest nicht massiv eingemischt. Präsident Obama ist mit dem Versprechen angetreten, die Militäreinsätze im Nahen Osten zu beenden. Er hat zwar anfangs rhetorisch sehr weit ausgeholt, indem er früh sagte, dass Assad gehen müsse. Er hat diesen Aufforderungen jedoch kaum Taten folgen lassen.
2013 hatte Obama das syrische Regime vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt und ist nach dem Chemiewaffenangriff auf Zivilisten im Umland von Damaskus mit über eintausend Toten vor Konsequenzen zurückgeschreckt. Seit Beginn des Syrien-Konflikts hat er sich mehrmals gegen seine Berater entschieden, die für ein militärisches Eingreifen plädiert haben. Das Problem auf Seiten der USA ist meines Erachtens, dass sie sich eben nicht entschlossener in den Konflikt einbringen, sondern sehr halbherzig agieren – und das sage ich nicht, weil ich US-Militäreinsätze grundsätzlich gut heiße. Die US-Invasion im Irak ist auf Grund falscher Tatsachen begonnen worden und hat viel Schaden angerichtet.
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Ist die Situation aktuell überhaupt noch überschaubar oder ändert sie sich stetig?
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Sie ist in der Tat schwer überschaubar, wenn man die Entwicklungen nicht sehr konsequent verfolgt. Es gibt immer wieder neue Dynamiken, die manchmal weniger mit der Situation in Syrien zu tun haben als mit Konflikten anderer Akteure untereinander.
Ein Beispiel dafür ist die Rolle der Türkei, die in ständigem Wandel begriffen ist – weil sie von so vielen Faktoren betroffen ist, die direkt oder indirekt mit dem Syrienkrieg zusammenhängen, aber auch weil inner-türkische Themen die Syrien-Politik beeinflussen.
Die syrisch-türkischen Beziehungen waren zu Beginne des Aufstands so gut, dass Erdoğan glaubte, Assad von einer Gewaltlösung abbringen zu können. Erst als klar war, dass das syrische Regime auf Gewalt gesetzt hatte und sich durch nichts davon abhalten ließ, bezog Erdoğan deutlich Position gegen Assad und stellte sich auf die Seite der Opposition. Dass die in Syrien seit den 1980er Jahren nicht mehr präsente Muslimbruderschaft großes Gewicht in der Auslandsopposition bekam, geht nicht zuletzt auf die Tatsache zurück, dass Erdoğan selbst Anführer eines türkischen Zweigs der Muslimbruderschaft ist.
Außerdem ist die Türkei besorgt über die zunehmende Autonomie der Kurden in Nordsyrien. Sie will mit allen Mitteln verhindern, dass unabhängige Kurdenstaaten im Irak und Syrien Vorbildcharakter für die Kurden im Osten der Türkei entwickeln könnten. Das wiederum führte zum Zusammenbruch der innertürkischen Friedensgespräche zwischen dem Regime und der PKK, die in Nordsyrien erheblich militärisch engagiert ist.
Zusätzlich verkompliziert hat sich die Lage im letzten Jahr wegen der durch die Türkei nach Europa gelangenden Flüchtlingsströme. Nebenbei hat sich das Verhältnis zu Russland so stark abgekühlt, dass man militärische Konfrontationen zwischen beiden Staaten befürchten muss.
Dieses Beispiel zeigt, dass der Syrien-Konflikt sich auch deshalb immer komplizierter wird, weil er die Nachbarstaaten so stark in Mitleidenschaft zieht. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Der Libanon mit 4 Millionen Einwohnern hat inzwischen über eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen.
Es war daher 2013 eine katastrophale Fehleinschätzung mancher Analysten, zu sagen, der Syrien-Konflikt sei zu kompliziert, als dass man von außen eingreifen könne; man müsse ihn „von innen ausbrennen“ lassen. Inzwischen sehen wir, wie der Konflikt die ganze Region destabilisiert.
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Wie hängen Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten und der Syrien-Konflikt zusammen?
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Der Sunna- Schia-Konflikt ist ein weiteres Beispiel für die eben beschriebene Verkomplizierung des Konfliktes. Vor 2011 gab es keine Probleme zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien. Ohnehin lag die Zahl der Schiiten weit unter 10 Prozent. Allerdings waren Schiiten (erkennbar am Tschador der Frauen) im Stadtbild von Damaskus nicht ungewöhnlich, weil es viele Iraner gab, die zu schiitischen Heiligtümern in Damaskus pilgerten. Den konfessionellen Konflikt ausgelöst hat die starke Unterstützung des syrischen Regimes durch den Iran.
Für den Kampf in Syrien rekrutieren sowohl der Iran als auch die von ihm unterstützten libanesische Hisbollah Söldner im Iran, im Irak, in Afghanistan, im Libanon und anderswo mit einer aggressiven schiitischen Propaganda.
Der Anführer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, peitschte im letzten Herbst sein Publikum bei einer Großveranstaltung auf, in dem er sagte, in Syrien stehe die Existenz des gesamten Schiitentums auf dem Spiel. Schiitische Söldner in Syrien tragen Stirnbänder und Banner mit schiitischen Parolen. Diese aggressive Rhetorik macht die Sunniten, die am schlimmsten von Massakern, Vertreibung, Verhaftung, Folter durch das Regime betroffen sind, ihrerseits anfällig für die Propaganda dschihadistischer Gruppen. Die Dschihadisten bezeichnen Schiiten als Ungläubige und vogelfrei, was wiederum Wasser auf die Propagandamühlen der Gegenseite ist: ein wahrer Teufelskreis.
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Lange haben unterschiedliche Gruppen (mehr oder weniger) friedlich miteinander gelebt. Warum konnten diese Erfahrungen nicht helfen, den aktuellen Konflikt zu verhindern?
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Diese Erfahrungen helfen im Alltag in Syrien immer noch Vielen dabei, sich unabhängig von der politischen Lage über Konfessionsgrenzen hinweg zu unterstützen. Die Koexistenz hat nicht aufgehört, aber sie ist an vielen Orten schwieriger geworden – vor allen Dingen dort, wo Extremisten beider Seiten – eben dschihadistische oder schiitische Milizen – die Kontrolle haben.
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Welche Akteure profitieren vom Verlauf des Konflikts? Gibt es eine Gruppe, die durch den Krieg besonders Schaden nimmt?
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Der Konflikt schadet allen. Akteure, die vom Konflikt profitieren sind lediglich Kriegsfürsten, die sich durch Wegzölle, Lösegelder oder Waffenhandel bereichern.
Von den internationalen Akteuren ist es Russland, das am meisten profitiert, weil es sich durch den Syrien-Konflikt als Großmacht re-etabliert hat. Keiner kommt an Russland vorbei, wenn dieser Konflikt beigelegt werden soll, weil das Regime ohne dessen Unterstützung längst militärisch gefallen wäre.
Aber auch Russland wird langfristig Schaden nehmen, weil es durch die Unterstützung des syrischen Regimes einen Völkermord nicht nur deckt, sondern sich daran aktiv beteiligt. Das rückt Russland stärker in den Blickpunkt von Dschihadisten, die die sunnitische Bevölkerung im Süden Russlands aufwiegeln könnten.
Langfristig gibt es keine Gewinner – nur Verlierer.
Aktuell sprechen die Medien viel darüber, was man hätte tun können oder sollen. Ist es denn zu spät, um durch eine aktive Syrienpolitik den Konflikt beizulegen? Wie müsste eine solche Politik aussehen?
Der Syrien-Konflikt kann nicht militärisch gelöst werden. Selbst wenn das Regime oder die Rebellengruppen das ganze Land erobern würden – was an sich schon nicht möglich ist – würde das weitere Vertreibungen, ethnische Säuberungen und anhaltende Instabilität bedeuten, weil dabei niemals die Interessen aller Gruppen berücksichtigt werden würden. Deswegen ist es wichtig, dass der Friedensprozess in Genf weitergeht.
Ein Friedensprozess um des Prozesses Willen führt aber nur dazu, dass sich die Lage am Boden noch weiter verschlimmert. Wir sehen momentan, dass nach einer kurzen – wenn auch nicht kompletten – Waffenruhe die Kämpfe wieder voll entbrennen und es um die 100 tote Zivilisten zu beklagen gibt – täglich! Das Regime und Russland haben das Bombardement von Rebellengebieten wieder aufgenommen. Rebellengruppen starten neue Offensiven. Die internationale Koalition gegen "IS" bombardiert Raqqa und andere Städte im "IS"- Gebiet. Landesweit hungern Hunderttausende von Menschen, weil das Regime Hilfslieferungen unterbindet, um aufständische Städte und Viertel in die Knie zu zwingen. Täglich sterben weiter Häftlinge unter Folter oder unsäglichen Haftbedingungen.
Das bedeutet, dass der ehrgeizige Prozess, den die „International Syria Support Group“ (ISSG) im letzten Herbst aufgelegt hat – Waffenstillstand, humanitären Zugang, Freilassung der Gefangenen, Bildung einer Übergangsregierung im Sommer 2016 - nicht mit Inhalt gefüllt werden konnte – und das obwohl alle Beteiligten - etwa der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien, Qatar, Russland, die USA, die EU, Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland – vertreten sind.
Das liegt daran, dass es nach wie vor unüberbrückbare Differenzen auf zwei verschiedenen Ebenen gibt: einmal zwischen Russland und den USA bzw. dem Westen und zudem zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.
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Wer könnte in dieser Politik maßgebliche Impulse setzen?
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Russland könnte seinen Einfluss in Syrien nutzen, z.B. um humanitäre Hilfe durchzusetzen. Stattdessen spielt es auf Zeit, drängt das Regime nur zum Nachgeben, wenn es um kleinere Hilfskonvois in vom Regime belagerte Gebiete geht und treibt gleichzeitig gemeinsam mit dem Regime dessen Offensiven gegen die Rebellengebiete voran.
Das ganze Ausmaß der vertrackten Situation zeigt sich an diesem Beispiel: Die internationale Gemeinschaft (die ISSG) drohte auf einer Sitzung in Wien im Mai 2016, es werde die vom Regime belagerten Gebiete aus der Luft versorgen, wenn das Regime bis Anfang Juni immer noch die Versorgung am Boden blockiere. Anfang Juni hieß es dann von Seiten der Vereinten Nationen (UN), auch für die Versorgung aus der Luft werde eine Zustimmung des Regimes benötigt.
Was die UN von der Umsetzung des ISSG-Beschlusses abhält, ist das Risiko, dass diese Versorgungsflüge vom Regime abgeschossen werden könnten – mit Luftabwehrraketen, die von Russland geliefert wurden. Da das syrische Regime ohne die Unterstützung Russlands nicht überleben könnte, ist kaum davon auszugehen, dass das Regime russische Versorgungsflüge für die belagerten Gebiete abschießen würde. Warum also nimmt man hier Russland nicht in die Pflicht?
Ende 2014 haben Sie die Hilfe in Syrien als “fehlgeleitet und ineffektiv” bezeichnet. Was lief schief? Wie könnte es besser funktionieren? Ich habe damals kritisiert, dass man die Bevölkerung in Syrien nicht schützt. Lange Zeit gab es die Forderung nach einer Flugverbotszone, wie sie Anfang der 90er Jahre im Irak galt.
Das hätte ein militärisches Engagement bedeutet und die Bundesregierung argumentierte damals, dass dafür keine Mehrheit zu bekommen sei. Die Bundesregierung hat sich entschieden, die Zivilgesellschaft zu unterstützen und Infrastrukturhilfe für Gebiete zu leisten, die vom Regime nicht mehr kontrolliert wurden.
Meine Kritik bezog sich darauf, dass eine solche Hilfe dann Sinn macht, wenn die Bevölkerung auch vor dem Bombardement geschützt wird, aber weniger Sinn, wenn alle aufgebauten Einrichtungen gleich wieder zerbombt werden.
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Welche Maßnahmen müssten von der internationalen Staatengemeinschaft unternommen werden, um den Konflikt zu lösen?
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Alle in Genf beteiligten Parteien müssen den Willen zum Frieden aufbringen. Solange eine Seite den Eindruck hat, dass sie militärisch gewinnen kann, wird es keine Konfliktlösung geben. Das setzt aber voraus, dass auch die beteiligten Großmächte und Regionalmächte verstehen, dass sie durch das Fortbestehen des Konflikts langfristig Schaden nehmen werden.
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Warum geschieht dies nicht?
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In vielen der beteiligten Länder werden Debatten nicht rational, sondern sehr emotional geführt. Autoritäre Regime wie Russland und der Iran schüren religiöse Vorurteile, um ihre Rolle in dem Konflikt zu rechtfertigen. Russland warnt vor dem Ausbreiten des Dschihadismus und lässt seine nach Syrien ausrückenden Soldaten von orthodoxen Priestern segnen. Der Iran rekrutiert Kämpfer für Syrien mit anti-sunnitischen Slogans. Ähnliches sehen wir gerade in der Türkei: Die Türkei wird zunehmend autoritärer und nach einer Phase des Dialogs zwischen Kurden und Türken wird jetzt wieder ein Klima der Angst geschaffen, um die Menschen entlang ethnischer Grenzen zu polarisieren, nach dem Motto. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“
Selbst in Europa und in den USA bekommen politische Strömungen Aufwind, die auf Konfrontation und Ausgrenzung setzen statt auf Dialog. Das alles führt dazu, dass wir und andere zögern, konsequent das einzufordern und umzusetzen, was nach der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges an Konsens formuliert worden ist: Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Charta der Vereinten Nationen. Das zeigt sich ja gerade am Syrien-Konflikt: dass Werte, die wir lange für selbstverständlich gehalten haben, plötzlich zur Verhandlung stehen. Warum muss man mit einem Regime darüber verhandeln, ob es Zivilisten verhungern lassen darf? Warum dürfen Kriegsparteien ungestraft Rettungskräfte und Mediziner ins Visier nehmen? Die Vereinten Nationen waren nie so schwach wie heute, weil dieser Konsens keine Geltung mehr zu haben scheint.