Durch die Energiewende ändern sich die Anforderungen an die Stromnetze: Sie müssen flexibler auf ein schwankendes Angebot an Erneuerbaren Energien reagieren könne. So verschiebt sich der Fokus für Energiekonzerne: Statt den Grundbedarf an Energie zu decken, wird zukünftig ihre Aufgabe sein, die Schwankungen bei Erneuerbaren Energien abzufangen und auszugleichen. Wirtschaftswissenschaftler Andreas Schröder erklärt, wie sich Energiekonzerne diese Veränderung zunutze machen können.
Andreas Schröder arbeitet seit einigen Jahren als Marktanalyst bei Energieversorgern und war zuvor Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Für Der Kontext hat er skizziert, welche Geschäftsmodelle für Versorger entstehen.
Für die herkömmliche Energieversorgung mit Großkraftwerken bedeutet die Energiewende einen Umbruch und einen Angriff auf das klassische Geschäftsmodell der Grundlaststromversorgung. Der zunehmende Anteil von schwankenden und nicht-steuerbaren Erneuerbaren Energien führt zu so fundamentalen Änderungen, dass die als konventionell bezeichnete Energieversorgung in Zukunft nicht mehr für die Grundversorgung, sondern insbesondere zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit genutzt wird.
Das heißt, dass sie in Spitzenzeiten insbesondere zur Netzstabilisierung und Deckung der Spitzennachfrage beiträgt, anstatt wie früher als Grundlastversorgung den Großteil der Nachfrage zu decken.
Durch diese Verschiebung ergeben sich für die konventionelle Energieerzeugung neue Geschäftsmodelle im Bereich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Versorgungssicherheit.
Marktveränderung: Von der Grundversorgung zur Versorgungssicherheit
Die vielen Erneuerbaren Energien können stellenweise das Netz belasten und führen zu höheren Schwankungen im Stromangebot. Konventionelle Kraftwerke können in einzelnen Zeitpunkten darauf reagieren und dafür entlohnt werden.
So beobachten wir seit Jahren einen Trend hin zu mehr Angebot von sogenannten Systemdienstleistungen durch Energieversorger, die zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen.
In Ländern wie Großbritannien gibt es einen interessanten Wettbewerb unter den Anbietern zur Bereithaltung von "sicherer" Kapazität für Wintermonate. Auch im Erdgasbereich können etwa Gasspeicher einen Beitrag leisten, um eine stärker schwankende Nutzung von Gaskraftwerken zu ermöglichen.
Womöglich kommen zukünftig neue Formen von Kapazitätsmärkten hinzu, die das Bereithalten von Kapazität explizit vergüten. Zur Deckung der Kosten der Bereitstellung von Kapazitäten würde somit ein weiterer Markt für Kapazitätsbereithaltung zum klassischen Strommarkt ("Energy-only market") hinzugefügt. Zur Notwendigkeit und Ausgestaltung Kapazitätsmärkten gibt es allerdings noch keinen politischen Konsens in Deutschland.
Versorgungssicherheit – ohne russisches Gas
Auch im Gasmarkt wird das Stichwort Versorgungssicherheit ausführlich debattiert. Mit einem Marktanteil von je einem Drittel beliefern Russland und Norwegen den größten Teil der europäischen Gasnachfrage.
Die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen ist aufgrund der politischen Konflikte rund um die Ukraine ein heikles Thema. Schon mehrfach drehte der russische Energiekonzern Gazprom den Ukrainern in der Vergangenheit den Hahn ab, nachdem es zu Zahlungsschwierigkeiten kam.
Mittlerweile verfolgt Russland die Strategie, Gastransport über die Ukraine zu vermeiden. Stattdessen setzt Gazprom auf neue Pipeline-Projekte, etwa durch das Schwarze Meer oder die Ostsee. Diese Projekte stoßen bei den osteuropäischen EU-Ländern auf Widerstand, da sie dem Ziel der Diversifizierung von Gasquellen entgegenstehen und den Transit durch Osteuropa überflüssig machen.
Unter dem Banner der "Energieunion" erarbeitet die Europäische Union derzeit Konzepte, um Versorgungssicherheit innerhalb der EU zu gewährleisten, ohne auf russische Gaslieferungen angewiesen zu sein.