„Die Zukunft, die wir uns alle wünschen, liegt in unserer eigenen Hand“, das sagte Tony Elumelu, ein Wirtschaftswissenschaftler und Philanthrop aus Nigeria. Elumelu war der erste, der den Begriff „Africapitalism“ in Umlauf brachte. Im Jahr 2011 erklärte er seine Wirtschaftsphilosophie in großen westlichen Wirtschaftsmagazinen wie dem Economist und der Financial Times. Seiner Meinung nach muss das, was Afrika braucht auch aus Afrika selbst kommen. Langsam verbreitet sich seine Philosophie in der akademischen Welt. So hat sich auch Kenneth Amaeshi dem Thema „Africapitalism“ angenommen. Er ist Professor an der Business School der Universität Edinburgh und ist Experte für Länder, deren Wirtschaft sich gerade entwickelt. Für Der Kontext erklärt Kenneth Amaeshi, was „Africapitalism“ genau ist, warum es dabei gar nicht nur um die wirtschaftliche Entwicklung geht und wie auch andere Kontinente von der Philosophie profitieren könnten.

Afrika für Afrika

Aus eigner Kraft für den ganzen Kontinent

  • Herr Amaeshi, was bedeutet „Africapitalism“ denn genau?
  • Die Idee hinter der Philosophie ist, dass Afrika sich mithilfe seines privaten Sektors selbst hilft.

  • Wie soll das genau funktionieren?

  • Afrikanische Privatunternehmer haben die Macht, den Kontinent zu verändern, soziale Missstände zu beheben und für eine nachhaltige Entwicklung einzutreten. Sie müssen mit den Regierungen zusammenarbeiten und darauf achten, was Afrika und dessen Bevölkerung weiterbringt.

  • Warum braucht Afrika eine eigene Art des Kapitalismus?

  • Man kann nicht einfach den europäischen oder amerikanischen Kapitalismus über Afrika stülpen. Allein schon, weil die meisten afrikanischen Länder kein Netz der sozialen Sicherheit haben, wie beispielsweise Deutschland. Dort werden die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt. Wenn jemand in einem afrikanischen Land seinen Job verliert, ist da meist niemand, der ihn auffängt. Auch gibt es nur eine sehr schwache Zivilgesellschaft, das heißt, Bürger organisieren sich kaum in Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen.

  • Was muss also ein Kapitalismus für Afrika mitbringen?

  • Wir brauchen ein System, das Afrika da abholt, wo es sich gerade befindet. Man muss die lokalen Begebenheiten beachten. Auch muss es ein System sein, bei dem es nicht nur um Profit geht, sondern auch um das Wohl der Bevölkerung.

  • Warum konnte Afrika bisher keinen eigenen Kapitalismus entwickeln?

  • Der Kontinent Afrika hat sich nicht so schnell weiterentwickelt, wie er eigentlich könnte. Das liegt vor allem an den Regierungen der einzelnen afrikanischen Länder, aber auch an internationalen Institutionen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfond. Afrika ist noch sehr abhängig von internationalen Institutionen und anderen Ländern.

  • Haben Sie ein Beispiel dafür?

  • Viele afrikanische Länder importieren Waren aus China, weil sie einfach billig sind. Schlauer wäre es, mit chinesischen Unternehmen zusammenzuarbeiten oder chinesische Firmen nach Afrika zu holen, damit sie dort produzieren. Davon würde der Kontinent viel mehr profitieren.

  • Woher kommt diese Abhängigkeit?

  • Ich glaube, das hängt unter anderem mit fehlendem wirtschaftlichen Patriotismus zusammen. Andere Länder haben diese Art des Patriotismus; man denke an Labels wie „Made in Germany“ oder den Spruch „British jobs for British people“. Ein Ziel des „Africapitalism“ muss sein, auch in Afrika einen wirtschaftlichen Patriotismus zu wecken.

  • Wie könnte man das erreichen?

  • Wichtig ist, dass der afrikanische Markt nicht nur als Markt gesehen wird, sondern als etwas, das von Menschen für Menschen gemacht wird. Wenn man diese humanistische Perspektive einnimmt, dann ist es auch unwahrscheinlicher, dass der Kontinent wirtschaftlich ausgebeutet wird. Bevor ein Unternehmen also Arbeitsplätze auslagert, sollte es sich bewusst machen, dass viele Arbeiter dadurch ihren Job verlieren würden und vielleicht auf lange Sicht arbeitslos bleiben. Unternehmer sollten sich überlegen, was das für ihr Land oder ihren Kontinent bedeutet. Das gilt ebenso für ausländische Investoren, sie sollten Afrika auch nicht nur als Markt sehen, sondern als Heimat und wirtschaftliche Grundlage vieler Menschen. Nur so kann es eine nachhaltige Entwicklung geben.

  • Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?

  • Wenn Digitalisierung bedeutet, dass das Zusammenleben in Afrika dadurch besser wird, dann spielt sie eine große Rolle. Zum Beispiel wenn der Zugang zu medizinischer Versorgung erleichtert wird oder Menschen, die sozial oder geographisch isoliert sind, wieder Zugang zur Gesellschaft finden. Aber „Africapitalism“ ist noch ein ganz neues Feld, es ist noch nicht abzusehen, welche Rolle die Digitalisierung wirklich spielen wird.

  • Wurde „Africapitalism“ überhaupt schon in der Praxis getestet?

  • Im Moment sind wir noch ganz am Anfang. „Africapitalism“ ist bisher eher eine Bewegung oder ein Diskurs. Nur ein oder zwei Unternehmen haben die Philosophie bisher in die Praxis umgesetzt. Zunächst einmal muss sich also ein neues Verständnis von Afrika als Wirtschaftsmacht etablieren. Afrikanische Unternehmen müssen diese Denkweise verinnerlichen und ein neues Bewusstsein für ihren Kontinent entwickeln. Sie müssen ihre Kapazitäten nutzen, um Afrika zu fördern.

  • Als Entwicklungshilfe von Afrika für Afrika also?

  • Jein. Natürlich sollen sie den Kontinent und die Menschen, die dort wohnen voranbringen, aber es geht nicht nur um Wohltätigkeit oder Entwicklungshilfe. Die Unternehmen sollen daran verdienen, das ist ganz wichtig.

  • Wie sieht die Zukunft des „Africapitalism“ aus?

  • Die Denkweise muss sich verbreiten. Am besten wäre es, „Africapitalism“ bereits in der Schule oder an den Universitäten zu lehren. Junge Menschen sollten mit der Philosophie aufwachsen und diese verinnerlichen. Wohin der Diskurs genau führen wird, kann noch niemand genau sagen. Aber in Zukunft könnten auch andere Länder davon profitieren. Im Moment nimmt Afrika viel von anderen Ländern: Geld, Lebensmittel, Entwicklungshilfe. Sollte „Africapitalism“ funktionieren, könnte Afrika endlich auch etwas zurückgeben.