Im Interview mit Der Kontext spricht Michael Pittelkow über die Rolle von Konzernen bei der Entwicklung in Afrika, über Herausforderungen und schon Erreichtes sowie die großen Chancen, die sich durch die Digitalisierung in Afrika ergeben.
Zusammenarbeit statt Neokolonialismus
Die Besonderheiten von Konzernen bei der Entwicklung von Afrika
- Der Kontext: Wo sehen Sie Chancen, die sich durch die Digitalisierung in Afrika ergeben?
Michael Pittelkow: Afrika ist ein großer Kontinent mit über 50 Ländern, die alle unterschiedlich weit entwickelt sind und in denen man ganz unterschiedliche wirtschaftliche, politische und soziale Voraussetzungen vorfindet. Ein einheitliches Bild von Afrika lässt sich deshalb nicht zeichnen. Das aus meiner Sicht das Spannende ist: In Afrika führt Digitalisierung zu mehr Inklusivität. Das klingt vielleicht ein bisschen nach „Lehrbuch zur Entwicklungszusammenarbeit“, ist aber tatsächlich so. Über Digitalisierung und digitale Lösungen erreicht man entfernte, ländliche Räume, die physisch nur schwer erreichbar sind. Mit digitalen Helfern lassen sich beispielsweise einfachen Farmer in entlegenen Gebieten erreichen. Und plötzlich vernetzen sich Farmer auf digitalen Plattformen und beginnen miteinander zu arbeiten, so dass sie gemeinsam größere Mengen landwirtschaftlicher Produkte anbieten können. Über E-Learning eignen sie sich Wissen an, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Es klingt vielleicht komisch, aber da lernen sie zum Beispiel, dass die Qualität von Sheabutter besser ist, wenn sie mit gewaschenen Händen hergestellt wird. Das sind Basics, die dort vorher nicht bekannt waren. Frauen in Ghana, die vorher einzeln ihre Shea-Nüsse oder ihre Shea-Butter an Mittelsmänner verkauft haben, arbeiten jetzt zusammen, produzieren größere Mengen, in höherer Qualität und werden plötzlich überregional interessant. Dann kommt eben nicht mehr nur wie früher ein Mittelsmann in das Dorf und gibt ihnen irgendeinen Preis – meist einen zu niedrigen. Mit einem Mal melden sich auch größere Käufer. Mitunter steigen dann sogar globale Player ein. Inklusivität ist also ein wichtiges Ergebnis. Transparenz ist ein weiteres wichtiges Ergebnis. Mehr Transparenz fördert Demokratie, denn es kann nicht mehr so leicht nach Gutsherrenart entschieden werden. Laut mehrerer Studien gibt es eine Korrelation zwischen Transparenz, Open Data, also Information, und dem Vertrauen der Bevölkerung in ihren Staat. Natürlich eröffnet Digitalisierung Afrika auch insgesamt größere wirtschaftliche Chancen. Die Frauen in Ghana zum Beispiel haben auf der einen Seite dadurch neue Chancen für sich und ihre Familien, andererseits wird dadurch auch der Export ihres Landes gestärkt.
Welche Rolle hat die Privatwirtschaft bei der Entwicklungszusammenarbeit? Wo sehen Sie an dieser Stelle SAP?
Ich bin überzeugt, dass Entwicklungsarbeit und wirtschaftliche Interessen keine Gegensätze sind. Natürlich gibt es auch wirtschaftliche Interessen, die nicht den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit dienen. Und umgekehrt gibt es auch Entwicklungsziele, die für Unternehmen uninteressant sind. Aber es gibt eine riesengroße Schnittmenge. Das findet seinen Ausdruck zum Beispiel im Marshall-Plan mit Afrika des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Hier nimmt die Privatwirtschaft eine wesentliche Rolle ein. Das Spannende dabei ist nicht so sehr die Innovationskraft der Privatwirtschaft, sondern die Hebelwirkung aus Sicht der Entwicklungspolitik. Jeder Euro Entwicklungshilfe kann durch private Investitionen in seiner Wirkung multipliziert werden. Umgekehrt braucht ein Privatunternehmen manchmal Unterstützung bei Anfangsinvestitionen – und die können aus dem öffentlichen Bereich kommen. So entsteht im Grunde ein Dreieck einer Win-Win-Win-Situation. Also: Die Träger der Entwicklungszusammenarbeit auf westlicher Seite vergrößern ihre Hebelwirkung. Gleichzeitig gibt es das Korrektiv der stärkeren Fokussierung, zumindest in den Projekten, an denen die Privatwirtschaft beteiligt ist. Die zweite Win-Situation ergibt sich für die Privatwirtschaft, in Projekten in denen Anfangsinvestitionen oder Risikoabfederungen eine große Rolle spielen. Im Moment wird für die Digitalwirtschaft diskutiert, ob Softwarelizenzen Gegenstand von Euler-Hermes-Bürgschaften werden können. Es wird sogar diskutiert, ob Implementierungsrisiken abgefedert werden können. Das ist vor allem für Firmen, die noch nicht auf dem afrikanischen Markt unterwegs sind, spannend. Das Dritte ist: Ich glaube auch, dass die afrikanischen Partner der Zusammenarbeit davon profitieren. Dieses Dreieck beschreibt eine ganz andere Art von Partnerschaft – eine auf Augenhöhe.
Um als Partner auf Augenhöhe zu arbeiten, muss man zunächst ein Bewusstsein dafür entwickeln, es verstehen. Ist die europäische Geschichte bei dieser Bewusstseinsbildung ein Hindernis?
Das ist nicht so sehr das Problem. Das Problem ist eher das Change-Management. Damit meine ich: Wir haben bei den westlichen Playern noch häufig die Einstellung, Privatwirtschaft sei mit Ausbeutung gleichzusetzen. Andererseits haben wir in der Privatwirtschaft immer noch sehr stark die Haltung, die Entwicklungszusammenarbeit sei dazu da, Projekte zu finanzieren. Ich glaube aber gar nicht, dass die Unternehmen eine solche Konsumentenhaltung wirklich wollen und umgekehrt genauso. Aber man fällt immer wieder in solche Denkschemata zurück, weil dies über Jahrzehnte Praxis war. Manchmal ertappt man sich dabei, wenn man in solche Muster zurückfällt. Am weitesten sind da tatsächlich die afrikanischen Partner. Die können sehr schnell “out of the box” denken.
In welchen Branchen und Sektoren sehen Sie die Entwicklungsarbeit am stärksten und positivsten?
Wir bei SAP sehen Landwirtschaft als sehr großes Feld. Das verspricht auch am meisten Erfolg, sowohl was Business Cases angeht und den wirtschaftlichen Erfolg derer, die daran beteiligt sind, als auch für die afrikanischen Partner. Das zweite große Feld ist „Domestic Revenue Mobilisation“, zu gut Deutsch: Steuererhebung. Die Besteuerungsquote in Afrika ist eine Katastrophe. Die Länder können nicht auf eigenen Füßen stehen, weil sie einfach keine eigenen Einnahmen haben. Das hat mehrere Ursachen. Vieles läuft in bar, und wenn es keine Belege über Transaktionen gibt, dann können keine Steuern darauf erhoben werden. Eine andere Ursache ist die Ineffizienz des Steuersystems. Wir sehen, dass in den Ländern, in denen Steuererhebungsverfahren modernisiert wurden, erstens mehr Steuergerechtigkeit eingezogen ist. Das ist ein wichtiger Punkt. Zweitens konnten die Steuersätze für den Einzelnen gesenkt werden. Das heißt, die Last des Einzelnen sinkt, weil sie auf mehr Schultern verteilt wird. Gleichzeitig steigen die Steuereinnahmen insgesamt. Positive Beispiele sind hier Mauritius, Simbabwe und Südafrika. Der Bereich E-Health ist in Ostafrika sehr stark, vor allem in Kenia. Zum Beispiel MicroClinic Technologies: Das ist ein kleines Unternehmen, das Gesundheits-Apps entwickelt und so den Zugang zur medizinischen Grundversorgung elektronisch unterstützt. Dadurch wollen sie verhindern, dass die Leute zu einem Apotheker um die Ecke gehen, der ihnen irgendetwas gibt – aber möglicherweise nicht das Richtige. In Afrika sterben viele Menschen an den Folgen falscher Medikation. Die Gesundheits-App klärt darüber auf, welche Medikamente bei welcher Krankheit in Frage kommen und wann der Kranke die Gesundheitsstation im Dorf aufsuchen sollte. Für ihre Arbeit wurde MicroClinic Technologies ausgezeichnet. Ein anderes Beispiel im Bereich Healthcare ist das Ergebnis eines Hackathons, den die GIZ im vergangenen Dezember veranstaltet hat, unter anderem in Kenia: die gegenseitige Versicherung für die ersten 1000 Tage eines Kindes. Eine Vielzahl von jungen Eltern zahlen Mikrobeträge über Mobile-Bezahlungs-Apps in einen gemeinsamen Topf ein. Und wenn ein Kind einer dieser Familien, die in den Topf einzahlen, zum Arzt muss, entscheidet die Gemeinschaft erstmal über den Arztbesuch – und bezahlt ihn dann über einen Kredit aus diesem Topf. Das heißt, dass der Topf auch wächst. Das Spannende ist, dieses Modell war über Jahrhunderte sowieso gelebte Praxis in den Dörfern. Über Mobiltechnologie verbreitet sich das Ganze nun. Das heißt, die Idee setzt auf bestehenden kulturellen Strukturen auf, digitalisiert und verbreitet sie und macht sie so effizienter. Die höhere Transparenz kommt auch hier positiv zum Tragen. Durch die Digitalisierung von Prozessen und Vorgehen werden diese nicht nur effizienter. Ein wichtiger Faktor ist: Korruption wird leichter erkennbar. Dadurch steigen unter dem Strich wieder die Investitionen, zum Beispiel in der Baubranche. Zur Transparenz gehört beispielsweise auch eine einfache Darstellung, wo wie viel Geld wofür ausgegeben wird.
Kann man regionale Cluster bestimmen, wo viel und wo wenig in Sachen Digitalisierung passiert?
Vieles verläuft hier parallel zur Stabilität eines Landes. In regionale Cluster kann man das nicht aufteilen. Südafrika ist hier natürlich vorne dran. Aber auch in Ostafrika gibt es gute Beispiele: Kenia macht viel, Tansania auch. Ruanda ist stark in der Digitalisierung im engeren Sinne, beispielsweise beim Thema Logistik mit Hilfe von Drohnen. Was Nordafrika angeht, sehe ich einiges in Tunesien auf den Weg gebracht. Tunesien ist aber natürlich auch ein Land, das sehr viel Unterstützung aus Europa bekommt. Es ist ein Partnerland für den Marshall-Plan und ein G20-Fokusland. Tunesien gilt als Stabilitätsanker in der nordafrikanischen Region und man tut alles, um das Land voranzubringen. Da wird jetzt viel auf die Schiene gesetzt.
Ist mehr politische Teilhabe durch Digitalisierung in Afrika ein Thema?
Ja, ein sehr großes Thema. Ich begegne dem an vielen Stellen. In der Afrikanischen Union zum Beispiel, die das in ihrer Entwicklungsstrategie für Afrika als wichtigen Baustein definiert hat. In Südafrika kommt Digitalisierung sehr stark von unten und hat nicht mehr den Charakter des Elitären. In Nordafrika sehe ich das im Moment mehr als eine Möglichkeit herauszufinden, was die Bevölkerung will und um darauf zu reagieren. Sozusagen als Frühwarnsystem. Es ist aber noch nichts, was sich in Projekten niederschlägt. Ich glaube auch, dass dies noch eine Diskussion von mehreren Jahren sein wird. ich gehe davon aus, dass die Afrikanische Union noch in diesem Jahr erste Pilotprojekte dazu ansetzt. Das wird auch großen Einfluss auf die Mitgliedsländer haben.
In welchem Bereich hat Digitalisierung am meisten Einfluss?
Das lässt sich für Afrika als Kontinent so nicht sagen. Besser ist es, die Auswirkungen einzelner Projekte zu bewerten. Also: Was bedeutet das konkret für die Leute in diesem Projekt? Die größte Auswirkung haben Projekte in der Landwirtschaft. Danach folgt „Tax Domestic Revenue“ und dann folgt das Gesundheitswesen
Wie bemisst die SAP die Ergebnisse, den Revenue beispielsweise? Oder schaut SAP hier auf andere Faktoren?
Wir messen den Umsatz nur, wenn es um unseren eigenen wirtschaftlichen Erfolg geht. Komplexer wird es, wenn man den Erfolg der Digitalisierung für Kunden messen will. Bei SAP haben wir eine eigene Methode dies zu Messen, das Value Engineering. Wir erstellen Business Cases für unsere Kunden die aufzeigen, wieso die Einführung von SAP-Technologien von Vorteil für sie ist. Im öffentlichen Sektor ist dies außerordentlich schwierig, denn der öffentliche Sektor ist nicht profitorientiert sondern wohlfahrtsorientiert; das Ziel ist hier insgesamt die Wohlfahrtsmaximierung. Daher konzentrieren wir uns dabie auf das Modell des Public Return on Investment. Das betrifft drei Dimensionen: Als erstes den Social Return on Investment, der sich nicht in Euro und Cent übersetzen lässt. Wenn die Reaktionszeiten von Feuerwehr und Polizei verbessert werden können, hat das nur bedingt mit Geld zu tun. In erster Linie rettet es Leben. Political Return on Investment heißt, wie weit politische Agenden unterstützt werden. Ein Beispiel könnte sein, ein Projekt zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen. Auch hier lässt sich die Auswirkung nicht immer unbedingt in Geld umrechnen. Die dritte Dimension ist dann der Fiscal Impact, und hier geht es tatsächlich um Geld. Welche Dimension wichtiger ist, kommt auf das Projekt an.
Welche Steine liegen im Weg, wenn man solche Projekte anstößt? Gibt es bereits in Europa Hindernisse oder erst in Afrika?
Wir sprechen über die private und öffentliche Kooperation im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und da gibt es immer noch ein paar Stolpersteine. Da ist vor allem der immer noch anhaltende Lernprozess zu nennen, dem alle Spieler ausgesetzt sind, um sich aus alten Denk- und Verhaltensmustern herauszubewegen. Doch hier gibt es enorme Fortschritte. Wenn ich mir die Projekte anschaue, die jetzt angeschoben sind, würde ich sagen, die sind außerordentlich partnerschaftlich. Das Hauptproblem ist häufig, ein Projekt auf den Weg zu bringen, sodass es beginnt. Wenn es erst einmal auf dem Weg ist, gibt es meist keine großen Schwierigkeiten. Beim Initiieren der Projekte ist es auch ein Problem, dass die Träger der Entwicklungszusammenarbeit nicht einzelne Unternehmen fördern können, denn es gibt wettbewerbsrechtliche Schranken. Das kann ich sehr gut verstehen und nachvollziehen – es gibt bürokratische und rechtliche Hürden, die ihre Berechtigung haben. Aber es gibt auch solche – vor allem prozessualer Art, die die Zusammenarbeit erschweren oder verlangsamen. Hier müssen Mechanismen gefunden werden, diese zu beschleunigen. In Europa und vor allem Deutschland haben wir einfach sehr lange Prozesslaufzeiten – bis Entscheidungen getroffen werden dauert es manchmal schon recht lange. Da werden die afrikanischen Partner auch unruhig, die sind deutlich schneller mit ihren Entscheidungen. Aber auch bei den afrikanischen Partnern gibt es Steine im Weg. Ein häufig wiederkehrendes Problem ist das Risiko, dass ein Projekt versandet. Aber wie gesagt, Afrika ist ein riesiger Kontinent und jedes Land in Afrika ist anders. In Südafrika gibt es dieses Risiko nur selten, dort ist man hochgradig organisiert. Auch in Ruanda ist man sehr ergebnisorientiert. Schwierigkeiten gibt es eher in Westafrika. Dort besteht ein reales Risko, dass ein Projekt entschieden und unterschrieben wird, aber dann versandet.
Ist als Projektpartner ein starker politischer Machthaber besser, mit dem man große Geschäfte machen kann, oder ist eine stabile Demokratie aus Sicht der SAP eher zu begrüßen?
SAP hat sehr hohe ethische Standards, zum Beispiel eine Null-Toleranz-Politik für Bestechungsversuche. Das wird bei uns nicht toleriert. Wenn es bei der Compliance Risiken gibt, dann müssen wir eben verzichten. Gleiches gilt natürlich für die Befolgung jeder Art von Exportbeschränkungen. Aber es nicht unsere Aufgabe Politik zu gestalten. Als Unternehmen ist es nicht unsere Aufgabe, politische Systeme zu verändern.
Finden die Partner vor Ort leicht qualifizierte Arbeitskräfte oder muss man an dieser Stelle noch investieren?
Wir bei SAP arbeiten sehr stark mit Partnern vor Ort zusammen. Es gibt Potenzial in vielen Ländern Afrikas. Aber der Bedarf ist höher als das vorhandene Potenzial. Wir begegnen dem Problem zum Beispiel mit Programmen, die wir selbst finanzieren. Bei „Skills for Africa“ bilden wir beispielsweise arbeitslose Hochschulabsolventen in SAP-Technologie aus. In dem Moment, in dem das Programm losgeht, ist schon klar, bei wem die jungen Menschen hinterher arbeiten werden. Das ist nicht zwingend SAP selbst, das können auch unsere Partner oder unsere Kunden sein.
Was können wir von Afrika lernen?
Das Out-of-the-Box-Denken und bei Lösungen und Ideen ein bisschen mehr Risiko anzunehmen. Wir Deutschen verifizieren, wir müssen immer beweisen, dass es geht, bevor wir etwas beginnen. Afrikaner hingegen falsifizieren. Sie nehmen zunächst an, dass es geht und brechen nur ab, wenn sich im Laufe des Projekts herausstellt, dass diese Annahme falsch war. Das ist ein vollkommen anderer Ansatz. Wir sind sehr risikoavers – ich glaube, in diesem Punkt können wir viel lernen.