In der Digitalisierung steckt viel Potential – für wirtschaftliches Wachstum und für die Entwicklung des Kontinents insgesamt. Dass Afrika schon viel weiter ist, als oftmals wahrgenommen wird, ist vielen gar nicht bewusst. In den letzten Jahren hat sich eine 300 Millionen starke Mittelschicht gebildet, die konsumieren will.
Es gibt noch viel zu tun
Unser Afrikabild stimmt nicht mit der Realität überein
Andreas Sieren ist deutscher Journalist und lebt seit mehr als 15 Jahren in Afrika. Mit Der Kontext hat er über das generelle Wirtschaftswachstum in Afrika und die Rolle von Digitalisierung in verschiedenen Sektoren gesprochen. Außerdem verrät er, warum Digitalisierung bei der Entwicklungshilfe eher kein Thema ist.
- Der Kontext: In Europa und Deutschland sehen wir von Afrika meistens Bilder aus Konfliktregionen. Stimmt das Bild vom hungernden, armen Afrika überhaupt noch?
Andreas Sieren: Ich finde das ist ein bisschen anachronistisch. Es gibt natürlich Gebiete, in denen Hungersnot auch im Moment wieder herrscht. Das ist vor allem in Somalia der Fall und in Äthiopien, also im nördlichen Ostafrika. Das betrifft viele Menschen, wir reden hier von Hunderttausenden. Es gibt außerdem noch unheimlich viele Flüchtlinge, die innerhalb der Region unterwegs sind. Aber Afrika ist kein Armut-Kontinent, das ist überhaupt nicht mehr der Fall. In den Städten, in den Metropolen der einzelnen Länder, haben sich Wirtschaftsstränge entwickelt, die den Leuten Arbeit geben. Da kommt Geld rein. Das funktioniert genauso wie in der westlichen, entwickelten Welt. Es ist eine Mittelklasse herangewachsen, die nach manchen Schätzungen hunderte Millionen Menschen betrifft.
Wie ist denn der Status quo der wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika?
Erstmal ist es wichtig zu sehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung einen großen Sprung nach vorne gemacht hat. Und zwar einen Sprung, den es in diesem Kontext noch nicht gegeben hat. Wir reden von 20 Jahren durchgehendem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf bis fünfeinhalb Prozent – was sehr hoch ist. Davor war Afrika mit der Dekolonialisierung beschäftigt. Dieser Prozess wurde vor etwa 20 Jahren mit dem Ende des Ost-West-Konflikts abgeschlossen. Ein wichtiger Punkt war hier auch das Ende der Apartheid in Südafrika, wo sich auch die politischen und wirtschaftlichen Strukturen dementsprechend aufgetan haben. Allerdings hat sich das Wirtschaftswachstum in letzter Zeit abgeschwächt. Seit der globalen Finanzkrise 2008 hat sich ein bisschen etwas geändert. Ebenso wie in Europa, in Nordamerika oder anderen Bereichen der Welt. Ost-Asien brummt im Moment wirtschaftlich auch nicht so sehr, wie das noch vorher der Fall war. Wir reden bei der Abschwächung also nicht von etwas, was spezifisch afrikanisch ist, sondern von einem globalen Phänomen. Statt fünf bis fünfeinhalb Prozent Wachstum haben wir in Afrika unter zwei Prozent, was natürlich relativ wenig ist. Und wenn ich die derzeitigen Zahlen anschaue: 2015 waren wir immer noch unter drei Prozent, mit 2016 ging es langsam wieder hoch. Ende des Jahres 2017, Anfang 2018 soll das wieder auf 3,2 bis 3,8 Prozent hochgehen, so die Prognosen. Langfristig gesehen ist Afrika ein Boom-Kontinent und das wird sich auch nicht ändern.
Unterscheidet sich dieses allgemeine Wirtschaftswachstum in den verschiedenen Regionen? Ist es in Südafrika anders als z.B. im Kongo?
Ja natürlich, das ist ganz klar. Es gibt Schwerpunktregionen, das sind Ostafrika, Westafrika und südliches Afrika. Aber selbst diese Regionen sind nicht auf dem gleichen Stand. Derzeit führend ist Ostafrika: Kenia, Tansania Uganda, Ruanda. Dort wird viel Infrastruktur aufgebaut, sehr viel investiert. In Westafrika hat es sich stark abgeschwächt. Zu einem großen Teil liegt das an Nigeria, wo das Wachstum auf Öl basierte. Die Nachfrage nach Öl ist derzeit aber nicht so groß. Andere Schwerpunktländer, wie Ghana, schwächeln auch etwas im Moment. Im südlichen Afrika ist es Angola, auch ein Ölland. Generell ist das südliche Afrika vor allem wegen der politischen Unruhen in Südafrika abgeschwächt. In Nordafrika läuft wegen des Nordafrikanischen Frühlings (Anm. d. Red.: Arabischer Frühling) im Moment nicht so viel. Auch in Zentralafrika gibt es einige Krisenherde. Zentralafrikanische Republik, Burundi, Sierra Leone – da können wir nur rätseln. Diese Regionen sind natürlich nicht vergleichbar mit den Boom-Regionen. Innerhalb von Afrika sind die Unterschiede also doch sehr groß.
Hat sich der Lebensstandard in den vergangenen 20 Jahren wesentlich verändert? Woran kann man die neue Mittelklasse festmachen?
Man muss natürlich dazu sagen, das das nicht das Gleiche wie eine Mittelklasse in Europa ist, sagen wir mal in Deutschland. Ich glaube, das Minimum an Einkommen in Deutschland liegt derzeit bei etwa tausend Euro im Monat. In Afrika muss man diese Schranke natürlich weit niedriger halten. Es geht bei der neuen Mittelklasse in der Regel um Menschen, die ihre Rechnungen bezahlen können. Es geht um Menschen, die eine gute Bleibe haben. Es geht um Menschen, die aber auch konsumieren können. Konsumieren ist sehr wichtig, das fängt im Kleinen an: Handy, Fernseher, Kleidung. Das hat es in der Art und Weise vorher nicht gegeben. Es ist jetzt auch in ländlichen Gegenden, wo es wenig wirtschaftliche Entwicklung gibt, normal, dass die Leute Handys und Fernseher haben. Das ist teilweise wichtiger als eine funktionierende Toilette – und das ist das Bemerkenswerte. Nehmen wir mal eine Dorfsiedlung, egal wo: Du denkst, hoffentlich hält das Dach der Hütte dicht, wenn es regnet. Aber auf dem Dach ist auch eine Satellitenschüssel. Da wird also Satellitenfernsehen geguckt, und das ist nicht günstig. Daran kann man diese Veränderung sehen. Und wenn mehr Geld da ist, dann baut man ein Haus. Eine Schulausbildung für die Kinder kommt dann auch. Das alles zählt in Afrika zur Mittelklasse. Das sind an sich auch Leute ohne Ausbildung, die in der Lage sind, sich mit guten Jobs über Wasser zu halten, und die deshalb die Zukunft ihrer eigene Familie planen können. Diese Entwicklung findet auf dem ganzen Kontinent statt.
Die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika erinnert an die Entwicklung Asiens. Ist Afrika damit eventuell sogar schneller als Asien?
Das wird häufig verglichen. Aber da sind natürlich andere Dinge, die in Asien funktioniert haben. Wir reden bei Afrika zwar von einer Boom-Region. Aber das geht nicht so schnell, wie der asiatische Aufstieg vor 30 Jahren. Hier in Afrika fängt man jetzt Stück für Stück damit an, Güter zu Produzieren. Ein Grund dafür ist, dass in Asien teilweise die Preise für faire Löhne zu hoch sind, und man sich nach günstigeren Möglichkeiten umschauen muss. Also werden Fabriken vor allem in Ostafrika und dem südlichen Afrika in der Nähe von Häfen angesiedelt. Da wird nicht in dem ursprünglichen Sinne produziert, sondern es werden Bauteile zusammengebaut. Also: Man baut kein ganzes Auto, sondern ein Container bringt es in Einzelteilen. Und dann wird es dort zusammengesetzt und heißt dann zum Beispiel "Made in Kenia". Dahinter stecken steuerliche Gründe, da es wesentlich billiger ist. Im Punkt Innovation ist Afrika auch nicht vergleichbar mit Asien. Der erste Schritt, sich ein bisschen wirtschaftlich zu befreien, ist natürlich, dass man etwas produziert. Der nächste Schritt ist, dass man was produziert, was woanders nicht produziert werden kann. Oder man erfindet ein Produkt, das andere haben möchten, und das halt wirklich aus Afrika kommt. Das ist eine Entwicklung, die braucht eine sehr lange Zeit – aber es gibt schon die Anfänge. Und es wird auch zwischen den beiden Kontinenten sehr stark kooperiert und zusammengearbeitet.
Um Innovation zu schaffen, braucht man auch eine relativ gut ausgebildete Bevölkerung. Aus China kommen Studenten deshalb nach wie vor in die westliche Welt. Gibt es so eine Entwicklung auch in Afrika? Wie sieht das Bildungsniveau aus?
Das Bildungsniveau ist unterdurchschnittlich. Jeder, der im Leben eine gute Ausbildung und vorankommen möchte, der geht nach Übersee zum Studieren. Das heißt Nordamerika, Kanada, USA, Großbritannien, Australien, oder auch Deutschland. Gerade im Ingenieurbereich ist das natürlich sehr sinnvoll. In der Regel wird das über Stipendien finanziert. Und dann hat man auch einen Abschluss von einer Uni mit einem Namen. Das ist schon sehr wichtig. Es gibt gute Unis hier. Aber wenn man mal auf einer Liste nach den 100 besten Unis der Welt guckt, dann werden Unis aus Afrika sehr schwach vertreten sein. Das ist leider so. Die Leute, die nach Übersee gehen und einen guten Abschluss haben, bringen den natürlich mit: Sie kommen in Führungspositionen, bauen Geschäfte auf, stellen andere Leute ein. Bildung ist nach wie vor ein Problem, sowohl auf tertiärer Ebene, als auch auf der regionalen Ebene in ländlichen Gegenden. Das ist teilweise katastrophal. [00:17:06] Der Analphabetismus ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten zwar zurückgegangen. Aber der Schritt von einfacher Schulbildung zu weiterer Schulbildung wird häufig nicht gemacht. Oder die Schule fällt regelmäßig aus. Oder der Abschluss ist nur bedingt etwas wert, weil das Niveau des Unterrichts relativ niedrig ist. Das Bildungsdefizit versucht man natürlich auszugleichen. Aber das sind langwierige Prozesse. Wenn man heute feststellt, dass Ingenieure fehlen, gibt es vielleicht erst in fünf Jahren ein entsprechendes Uni-Programm.
Welche Branchen sind dafür verantwortlich, dass das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte möglich war?
Der große Vorteil des Kontinentes ist, dass es hier Rohstoffe gibt. Und es gibt einen Bedarf danach: Vor allem in der Vergangenheit kaufte China im großen Stil Rohstoffe, ebenso die Amerikaner in Westafrika. Das ist langfristig wichtig, weil man Geld verdienen kann. Was den Boom auch beschleunigt hat, ist die aufsteigende Mittelklasse und der dadurch entstandene Konsum. Das sind zwei Bereiche, die sind auch für die Zukunft sehr wichtig. Ebenso der Baubereich: Es gibt einen Infrastruktur-Engpass, der vor allem im östlichen Afrika rasant aufgeholt wird. Das fördert natürlich die Wirtschaft. Wenn man auf das produzierende Gewerbe schaut, sind größere Fabriken, wie Autofabriken, eher die Minderheit. Wichtiger ist die Produktion von kleineren Gütern, wie in der Textilindustrie. Das Finanzwesen ist gerade hier in Südafrika ein sehr wichtiger Bereich. Das Land hat einen Finanzbereich, der vergleichbar mit Frankfurt ist. Ein neuer Sektor, der sich aufgetan hat, ist die landwirtschaftliche Produktion – in einem Stil, dass man irgendwann auch exportieren kann.
Gibt es auch einen typischen Dienstleistungssektor, wie er sich in den westlichen Ländern entwickelt hat?
Das ist nicht so sehr ausgeprägt. In Afrika gibt es einen riesigen informellen Sektor, der oft den normalen Dienstleistungssektor ersetzt. Informell heißt, dass Leute einen Dienst oder eine Arbeit anbieten und dafür bezahlt werden. Das geht an der Steuer vorbei.
Die Digitalisierung scheint nicht so viel Einfluss auf die Wirtschaft zu haben. Lässt sich absehen, ob dieser Sektor wichtig wird?
Wenn man bei Digitalisierung zum Beispiel die Mobilfunknetzwerke nimmt, dann ist das jetzt schon extrem wichtig. Über Handys haben Menschen, die eher aus ärmlichen Verhältnissen kommen, Zugang zur Außenwelt. Die Entwicklung vom Festnetzanschluss zum Handy wurde dabei übersprungen: Vorher hatte man kein Telefon, jetzt haben alle Handys. Auch mit einem billigen Handy können sie Geschäfte abwickeln, zum Beispiel Bankgeschäfte. Ein berühmtes Beispiel ist das M-Pesa-System, ein Dienst aus Kenia. M-Pesa ermöglicht Leuten mithilfe eines Handys Geld zu überweisen, ohne in eine Bankfiliale gehen zu müssen, die möglicherweise weit entfernt liegt. Das gibt den Leuten die Möglichkeit auf relativ kostengünstiger Ebene Geschäfte zu tätigen. Das ist extrem wichtig, wenn sie auf einer niedrigen wirtschaftlichen Basis arbeiten, und ihr eigenes Geschäft erfolgreich voranbringen wollen. Das System funktioniert so gut, dass es bereits in andere Länder exportiert wurde. Mit einem anderen Dienst kann ein Landwirt zum Beispiel über sein Handy nachfragen, wie die Wetterprognosen sind, um seine Ernte einzubringen. Außerdem kann er feststellen, ob es in der nächsten Marktstadt Bedarf an seinen Produkten gibt und dementsprechend ernten.
Das unterscheidet sich ziemlich stark von dem, was wir in Deutschland als Digitalisierung kennen. Etwas wie M-Pesa setzt sich hier überhaupt nicht durch. Gibt es weitere Geschäftsmodelle dieser Art, die in Afrika besonders gut funktionieren?
Wenn es sich um gute Geschäftsmodelle für mobile Zahlungssysteme handelt, ja. Diese Systeme sind sehr afrikanisch. M-Pesa ist nicht das einzige System, es gibt viel Konkurrenz – manche mehr, manche weniger erfolgreich. Ein anderes System, was in Afrika sehr gut funktioniert, ist das Uber-Taxi. Und das läuft nicht nur unter der amerikanischen Firma, da haben sich viele alternative, einheimische Firmen in Afrika aufgetan, die Uber Konkurrenz machen. Gerade auch im Osten Afrikas gibt es einzelne Firmen, die solche Dienste anbieten.
In Deutschland wird Uber kritisch gesehen und manche fordern die aktive Unterstützung der Taxi-Branche. Gibt es diese Fragestellung auch in Afrika?
Das ist genau das Gleiche. Aber das läuft nicht friedlich ab, das ist ein richtiger Kampf. In Südafrika ist es normal, dass sich die Fahrer der Firmen regelrecht auf offener Straße prügeln, und dass Taxis in Brand gesteckt werden. Da ist viel potenzieller Konfliktstoff, weil die herkömmlichen Taxifahrer das Gefühl haben, sie verlieren an Markt. Aber auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Die Regierung versucht in den jeweiligen Ländern zu intervenieren. Zum Beispiel hat man für Uber-Taxis besondere Parkplätze gebaut.
Die Amerikaner sind mit dem Silicon Valley führend, was die Entwicklung neuer Ideen angeht. Gibt es in Afrika auch so eine Start-up-Kultur?
In der Regel sind es junge, gut ausgebildete Leute, die eine Geschäftsidee haben und das versuchen durchzuziehen. Und manchmal werden sie dann damit sehr erfolgreich. Das ist vielleicht von der Größe her nicht vergleichbar mit dem, was im Silicon Valley passiert ist. Diese Silicon-Valley-Idee gibt es in verschiedenen Ländern in Afrika, wo auch die Regierung eingreift und Geld gibt, um gewisse Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Diese Start-Up-Kultur betrifft vor allem den IT-Bereich, also die Entwicklung von Apps für Computer oder Handys. Im ost- und westafrikanischen Bereich haben sich viele Experten zusammengesetzt solche Dinge zu entwickeln und haben dadurch einen riesigen Markt aufgemacht. Da braucht man nicht viel Startgeld. Man braucht nur einen vernünftigen Computer zum Programmieren. Man braucht einen Internetanschluss und dann kann man loslegen. Da haben sich tolle Geschäftsmodelle und Produkte entwickelt, die teilweise auch exportiert werden.
Ein Aspekt, den die Digitalisierung mit sich bringt, ist die Automatisierung von Arbeitsprozessen. Ist das in Afrika auch schon ein Thema?
Vieles ist natürlich schon automatisiert. Aber es gibt auch Firmen, vor allem im mittleren Bereich, in denen man die Arbeitskräfte braucht. Diese werden dann auch noch ausgebildet. Das betrifft die aufstrebende Produktion in Afrika – um Einzelteile zu einem großen Produkt zusammenzusetzen braucht man natürlich Arbeitskräfte, das wird nicht von Robotern gemacht. Im Bergbau braucht man für den Abbau von Rohstoffen auch noch viele Leute. Eine Debatte über Automatisierung, wie sie derzeit in Zentraleuropa stattfindet, gibt es hier überhaupt noch nicht.
Die gängige Vorstellung ist, dass die Infrastruktur in Afrika anderen Ländern weit hinterher ist. Ist eine gute, stabile Internetverbindung eher die Ausnahme oder die Norm?
Internet ist langsam und teuer. Eine stabile Internetverbindung ist die Ausnahme und weitestgehend auf die großen wirtschaftlichen Zentren und die Hauptstädte begrenzt. Das ändert sich jetzt in den Städten, Glasfaserkabel und Anschlüsse werden verlegt. Aber es dauert halt. Es gibt viele Bereiche, die sind quasi nicht abgedeckt. Das eine Problem ist also die digitale Infrastruktur an sich. Das andere Problem sind die verhältnismäßig hohen Preise. Internet kostet quasi das Doppelte wie in Deutschland – für die halbe Geschwindigkeit. Das ist langfristig schwierig, das muss sich ändern. Bei anderer Infrastruktur – Häfen, Straßen, Eisenbahnlinien, Staudämme – hingegen tut sich unheimlich viel.
In Deutschland zahlt man für einen Mobilfunk-Tarif, der alles bietet, ungefähr 20 Euro. Was bezahlt man in Afrika?
Mindestens das Doppelte für eine relativ bescheidene Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit beträgt 30, vielleicht 50 Prozent von der in Deutschland. Und Daten auf dem Handy sind auch nicht billig. Da ist auch die Gefahr, dass Menschen, die nicht viel Geld haben, viel Geld dafür ausgeben, das Smartphone nutzen zu können. Das Handy ist eben auch so ein bisschen Statussymbol, weil die Menschen kein Haus oder kein Auto haben, die sie den Nachbarn zeigen können. Selbst bei Hausangestellten ist es nicht ungewöhnlich, dass sie für 200, 300 Euro ein Handy haben – was in der Regel über ihren Verhältnissen ist. Denn in der Regel verdienen sie nur knapp 300 Euro im Monat, wovon 25 bis 30 Prozent für den Transport zwischen Wohnort und Arbeit draufgehen. Verhältnismäßig wenig Geld wird ausgegeben für Nahrung, was natürlich auch nicht sehr dienlich ist.
Ist die Kommunikation über die digitalen Möglichkeiten etwas, das die Menschen in ganz Afrika verbindet?
Total. Und das verbindet sie auch über hunderte Kilometer. Jemand, der in der Hauptstadt zum Arbeiten ist, kann auf eine relativ günstige Art und Weise mit der Familie kommunizieren. Das Schöne dabei ist: Mit dem Handy kann man telefonieren, Nachrichten austauschen, an Netzwerken teilnehmen, im Internet surfen – aber auch noch Bilder machen und diese Bilder dann zu entfernten Freunden oder der Familie schicken. Das ist eine Form von sozialem Netzwerk, die es früher nie gegeben hat.
Wenn das Infrastrukturnetz an sich ausgebaut wird, werden Internetleitungen dann gleich mitgebaut?
Im großen Stil bauen die Chinesen hier Infrastruktur. Die Seiteninfrastruktur, wie die Kanalisation oder Stromleitungen, wird beim Bau dazugegeben. Es werden auch Häuser und Siedlungen gebaut, wo Menschen wohnen können. Das sind in der Regel Komplettpackungen, vor allem im östlichen Afrika.
Ist die klassische Entwicklungshilfe, so wie wir die geleistet haben, in dem Fall gescheitert und durch ein anderes Modell ersetzt worden?
Die klassische Entwicklungshilfe hat nicht das erreicht in den 50 Jahren, was sie sich zum Ziel gesetzt hatte. Das muss man so sehen. In den vergangenen Jahren kam sehr sehr viel Kritik, vor allem aus Afrika. Bundesminister Müller hat jetzt einen neuen Plan für Afrika – und nennt ihn Marshallplan. Manche Leute sagen, der Vergleich hinkt ein bisschen. Mit dem Marshallplan haben sich die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg dazu entschieden, Deutschland wieder auf die Beine zu helfen. Das war direkt nach dem Krieg, wo nichts, wo kein Stein mehr auf dem anderen stand – es war alles kaputt. Es ist so, dass in Afrika schon wahnsinnig viel Expertise ist. Die Leute hier sind auf dieselben Unis in der Welt gegangen, sie haben dieselben Fähigkeiten. Sie arbeiten nur in Strukturen, die ein bisschen kompliziert sind.
Westliche Länder knüpfen ihre Entwicklungshilfe immer wieder an Good Governance und Transparency. Bietet sich durch die aktuellen Entwicklungen, auch durch die Digitalisierung, die Chance, Afrika in dieser Hinsicht nach vorne zu bringen?
Das ist natürlich ein wichtiger Gedanke bei der Digitalisierung, die sich über simple society als gewisse politische Kraft freisetzt. Früher konnte ein Diktator eine Entscheidung treffen und damit in der Regel auch davongekommen, weil sie keiner mitgekriegt hat. Bis die Information sich verbreitet hatte, vergingen Tage oder Wochen. Heute kann so eine Entscheidung in Echtzeit immer weiterverbreitet werden – mit dem Handy über Facebook oder Twitter. Das sind natürlich auch Druckmittel, die hat es früher nicht gegeben. Aber wenn man mal überlegt wollen die Leute nichts anderes, als alle anderen Menschen auf der Welt. Sie wollen ein Einkommen haben und in der Lage sein, ihre Familie zu versorgen, die Kinder auf Schulen zu schicken. Sie möchten in der Zukunft relativ sicher leben. Und wenn das passiert ist, beschäftigen sich die Leute mit ihren Rechten. Paul Kagame, der langjährige Präsident von Ruanda, der das Land Mitte der 1990er-Jahre aus dem Genozid herausgeführt hat, wurde von vielen kritisiert, er sei nahezu autoritär. Aber er hat das Land umgekrempelt, es wirtschaftlich nach vorne gebracht, den Leuten geht es wesentlich besser. Und als nächstes kümmern sich die Leute dann auch um ihre Menschenrechte.