In Syrien wird im Zuge von Kämpfen und auch gezielt Kulturgut zerstört. Der Archäologe Dr. Ali Cheikhmous ist Vorsitzender der Association for the Protection of Syrian Archaeology (ASPA). Er erfasst mit einem Team Freiwilliger die Zerstörung in der Hoffnung, dass es irgendwann möglich sein wird manches wieder aufzubauen und geraubte Stücke zu identifizieren. Wir haben mit ihm gesprochen, um mehr über seine Arbeit zu erfahren.

  • Nach dem Gewaltausbruch in Syrien haben sie die APSA gegründet, eine Organisation zum Schutz von Syrischen Kulturgütern. Wie kamen Sie zu dieser Idee?
  • Zunächst wollte ich nur eine Facebook-Seite erstellen, um dort die Nachrichten über die militärische Aufrüstung in und um historische Stätten zu sammeln. Dann begannen die Bombenanschläge und ich nahm Kontakt zu Bekannten vor Ort und in Europa auf. Es formte sich daraufhin schnell eine Gruppe, die alle möglichen Zerstörungen dokumentiert.

  • Wie funktioniert die APSA?

  • Zum einen gibt es Leute vor Ort. Grundsätzlich ist jeder für seine eigene Region zuständig. Viele sind keine ausgebildeten Archäologen. 2014 haben wir daher Kurse ins Leben gerufen, um die Leute in Dokumentationstechniken auszubilden. Die Leute schreiben dann Berichte, machen Fotos oder filmen und senden uns das Material über das Internet. Zum anderen haben wir Archäologen in Europa, in Straßburg, Paris, Berlin und Brüssel. Sie werten das Material aus, verarbeiten es zu wissenschaftlichen Berichten und übersetzen sie ins Englische und Französische. Die Berichte werden schließlich Spezialisten und Journalisten geschickt und auf der Website von APSA eingestellt.

  • Was motiviert die Leute, sich für APSA zu engagieren?

  • 2012 hatten wir rund 40-50 Leute, die uns im Land geholfen haben. Aber da wir kein Budget haben und nicht von internationalen Organisationen unterstützt werden, hören viele wieder nach ein, zwei Jahren auf. Schließlich sind die Lebensumstände sehr schwierig, die meisten haben eine Familie. Am schwierigsten ist aber, dass wir sie nicht regelmäßig finanziell unterstützen können, damit sie die sehr wichtige Arbeit fortsetzen.

  • Wie kommt es, dass Sie nicht zum Beispiel von der UNESCO unterstützt werden?

  • Ich war auf einer Fachkonferenz in Berlin und habe den Kollegen die Lage geschildert. Derzeit befinden wir uns in einem Warteprozess. Ich hoffe, dass sich das bald ändert, denn das Syrische Kulturgut ist ein Weltkulturgut, es geht um ein Welterbe.

  • Was bedeutet die Zerstörung des Kulturguts für die syrische Gesellschaft?

  • Unsere Kulturgüter sind wie Geschichtsbücher. Wenn man einfach Kapitel herausreißt, dann fehlen am Ende Informationen. Damit findet eine radikale Veränderung der Identität einer Stadt wie Aleppo statt. Darum sind auch viele Einwohner geschockt.

  • Betrifft das auch jene, die sich nie für Kultur interessiert haben?

  • Natürlich. Man nimmt den Leuten wichtige Symbole aus ihrer Kindheit und Jugend. Freunde von mir hatten das Gefühl, man würde ihnen ein Stück aus ihrem Herz schneiden. Seit sie geboren waren, waren die Symbole immer da. Sie verbinden etwas mit den Orten oder Gebäuden, haben Fotos davor gemacht. Diese Dinge waren Erbe aller Stadtbewohner, nun haben sie es verloren. Das tut weh.

  • Wer zerstört eigentlich die historischen Gebäude?

  • Im Grunde sind alle militärischen Akteure vor Ort an den Zerstörungen beteiligt. Das schließt die Luftwaffe des syrischen Regimes mit ein. Aber auch die Russen und die Rebellen sprengen alles in die Luft.

  • Also sind auch Syrer daran beteiligt?

  • Ja, aber hauptsächlich die militärischen Gruppen. Der Schutz von Kulturgut ist nicht ihre Priorität. Die große Zitadelle von Aleppo zum Beispiel war Schauplatz für eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen der Armee des Regimes und den Rebellen.

  • Wieso tut es ihnen nicht weh, wenn sie ihr eigenes Kulturgut zerstören?

  • Das Kulturgut ist nicht ihre Priorität. Ihre Priorität ist, den Feind auszulöschen. Ich meine sogar, dass sie sich kein bisschen ums Kulturgut scheren. Oft gibt es nicht mal militärische Gründe. Im Museum von Aleppo gab es die größte Mosaikgemälde-Kollektion des Mittleren Ostens. Es gab keinen Grund, ausgerechnet dort zu sprengen. Dennoch gabe es mindestens zwei Bombardements.

  • Haben Sie das Gefühl, dass es eine Strategie hinter der Zerstörung gibt?

  • Sie haben zum Beispiel alle Mausoleen und Gräber zerstört. Das ist eine Art, wie man Bewohner demoralisieren und somit unterwerfen kann. Im Grunde ist das ein Genozid an Erinnerungen, am lokalen Erbe. Außerdem verstecken sich viele Gruppen gezielt in historischen Stätten und nehmen dabei in Kauf, dass sie gefunden und zerstört werden.

  • Wie viele Jahre oder Epochen gehen durch die Zerstörungen verloren?

  • Vieles wird für immer verloren gehen, zum Beispiel die Gebäude von Palmyra. Andere wird man nur zum Teil rekonstruieren können. Schließlich werden viele Objekte ihren Wert schon alleine dadurch verlieren, weil sie aus ihren eigentlichen Kontext entfernt wurden.

  • Gibt es eine Möglichkeit, die totale Zerstörung zu verhindern?

  • Alles hängt nun von der Politik und der Unterstützung durch internationale Organisationen wie der UNESCO ab. Es bräuchte einen militärischen Schutz von Kulturgütern, zum Beispiel Blauhelme, die sich um bestimmte Gebäude kümmern. Politiker müssten auch Druck machen, sodass man im Krieg zumindest das Kulturerbe respektieren müsste.

  • Gibt es auch lokale Initiativen, um Kulturgüter zu verstecken?

  • Ja, aber auch hier gilt: Die Umstände sind gravierend für die Leute vor Ort.

  • Bringen Sie auch Gegenstände nach Europa?

  • Nein. Natürlich wird auch geschmuggelt, aber in der Regel werden die Gegenstände in geheimen Orten in Syrien versteckt.

  • Wie kann man sich die geheimen Orte vorstellen?

  • Oft sind das private Häuser, die weit entfernt von Kämpfen sind. Aber wir sprechen nicht über die Details, da die Lage nicht sicher ist. Neben den Kämpfen gibt es auch Diebe.

  • Wird es mithilfe Ihrer Dokumentationen möglich sein, einige der zerstörten Kulturgüter wiederherzustellen?

  • Ja, das ist der Sinn der Dokumentationen. Sie sollen Experten dienen, schon jetzt Rekonstruktionsprojekte für die Nachkriegszeit vorzubereiten und Notfallmaßnahmen einzuleiten.

  • Können die Leute in Europa etwas tun?

  • Natürlich. Wir sind angewiesen auf die Meinung und Erfahrung von Wissenschaftlern. Wir wünschen uns, dass die verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen mit den verschiedenen Gruppen vor Ort zusammenarbeiten und sie logistisch und finanziell unterstützen.

  • Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?

  • Ich habe keine Hoffnung. Die Katastrophe setzt sich seit Jahren vor den Augen der Welt fort. Alle wissen davon, aber alle verschließen die Augen davor.

  • Das ist sehr pessimistisch.

  • Aber es ist die Wahrheit.


Zudem haben wir mit der Archäologin Prof. Dr. Adelheid Otto gesprochen, die 23 Jahre in Syrien gelebt und gearbeitet hat. Sie erläutert die Bedeutung von historischen Kulturgütern, verurteilt den Schmuggel sowie den Handel mit antiken Stücken und ist der Meinung, dass die Weltgemeinschaft schnell handeln muss.

Wird durch die Kämpfe oder gezielt Kulturgut zerstört?

Von wem gehen die Zerstörungen aus?

Wie viele Jahre Geschichte gehen verloren?

Kann man den Schaden beziffern?

Können Kulturgüter noch von der Zerstörung gerettet werden?

Kann der Handel mit illegalen Kulturgütern gestoppt werden?

Warum ist der Verkauf von Kulturgütern so verheerend?

Handel mit illegalen Kulturgütern verändert?

Was kann gegen illegalen Handel mit Kulturgütern getan werden?

Welche Maßnahmen sollen nach dem Krieg unternommen werden?

Wurde vorher schon so viel Kulturgut anderswo zerstört?